Kein Micky-Mouse-Feld vor Kiel

■ Kieler Woche 1993: Experimentierfreude zum hundersten Aufguß des Seglerspektakels

Experimentierfreude zum hundertsten Aufguß des Seglerspektakels

4000 Menschen segeln auf der Kieler Bucht und niemand interessiert sich so richtig für das Treiben auf dem Meeresarm. Es ist Kieler Woche, die Zeit also, in der sich die Touristen und die Bewohner der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt mühevoll von Bierstand zu Freßstand zu Bierstand durchkämpfen und dabei gerne vergessen, daß es sich bei diesem Volksfest auch um eine Sportveranstaltung handelt.

Denn: Die Regatten fanden bisher immer fast unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt, auf dem Wasser gibt es keine Tribünen und auch das Fernsehen verirrt sich nach Meinung des Kieler Tornado-Europameisters Roland Gaebler zu selten auf die Regattabahnen. Diese Botschaft ist auch beim internationalen olympischen Kommitee angekommen, dort fordert man jetzt mehr Medienwirksamkeit von den Segelveranstaltungen. So gleichen in diesem Jahr alle Regatten auf Nord- und Ostsee einem riesigen Versuchslaboratorium. Diesem Trend entsprechend präsentiert sich auch die Kieler Woche bei ihrer 100. Auflage in einem ganz neuen Gewand.

Erstmals wird die Segelveranstaltung (19. und 27. Juli) zweigeteilt. In der ersten Hälfte gehen 13 internationale Bootsklassen und die olympischen Surfer an den Start, die letzten vier Tage sind den acht olympischen Bootsklassen vorbehalten. Die erste Folge der Zweiteilung ist eine weitere Zunahme der Starter in jeder Hälfte werden 700 Boote erwartet, dazu kommen noch einmal 220 Yachten für die Hochseerennen. Dadurch wird die Kieler Woche aber nicht interessanter — sondern undurchsichtiger. Für mehr Medieninteresse sollen deshalb neue Rennkurse auf den Bahnen sorgen: „Sechs verschiedene Regattakurse stehen zur Auswahl – alle sind wesentlich kürzer als die bisherigen“, erklärt Wettfahrtleiter Dieter Rümmeli. Außerdem gibt es als Neuerung gleich in drei Klassen Gruppensegeln. Abgeschaut hat man sich diese Variante bei den 7 - 14jährigen Opti-Seglern, wo das Gruppensegeln seit Jahren zum Repertoire gehört.

Ob Grupppensegeln und Straßenbahnkurse, wie sie erstmals in diesem Jahr gestartet werden, wirklich die Zukunft des Yachtsports sind, bleibt auch für Rümmeli fraglich: „Das Programm der diesjährigen Kieler Woche muß nicht unbedingt das Programm der nächsten olympischen Spiele sein“, ist sich der Kieler Schuhhändler bewußt. Und Dierk Thomsen, für die Programmgestaltung in Kiel zuständig, sagt es direkter: „Die Weltserienregatten zu denen auch die Kieler Woche gehört, und die Micky- Mouse-Felder bei Olympia sind nicht vergleichbar – da muß man unterschiedliche Lösungen finden“. ank