„Auge eindrücken, Finger darin baden, das desinfiziert“

■ Ein Besuch auf der Fischauktion Bremerhaven, über FischverarbeiterInnen und die Köpfmaschine für fangfrischen Rotbarsch

Schleimig - also frisch

Naß glänzt der Boden in der Halle. Das Eis, das die Fische frischhalten soll, schmilzt. Ein aufgerissenes rotes Fischmaul ragt über den Rand einer Plastikkiste. Gezielt greift Jochen Jantzen dem Rotbarsch unter die Kiemen. „Sehn Sie, der Kiemenkranz ist noch hellrot, der ist ganz frisch.“ Und hier, die Schleimschicht: noch vollständig erhalten.

Aber der Seelachs dort. Das Auge verwässert und matt. Das ist B-Ware. Der muß noch heute verarbeitet werden und morgen beim Konsumenten sein, erklärt Jantzen, der Leiter des Umschlagbetriebs bei der Fischereihafen Betriebs-und Entwicklungsgesellschaft (FBEG) in Bremerhaven. Die FBEG ver

anstaltet wochentags die größte europäische Fischauktion.

Auch der frischeste Fisch in der Auktionshalle ist vor mindestens vier Tagen geschlachtet worden — vier Tage nämlich braucht ein Trawler von Island bis nach Bremerhaven — zum größten europäischen Fischverarbeitungsplatz. Maximal 12 Tage dürfen vergangen sein, bis der Fisch auf die Auktion kommt. Mit Eisschutt zwischen den Leibern wird der Fisch frischgehalten.

Frisch muß der Fisch sein, jung nicht unbedingt: Fleisch von alten Fischen ist nicht zäher als von jungen. Denn nur Bindegewebe verhärtet — Fische haben aber kaum welches. Sie brauchen auch keines: Der Druck im Meer hält ihren Körper zusammen. In der Regel sind die Fische, die auf der Auktion verkauft werden, 12 bis 15 Jahre alt. „Der Seefisch ist ein sehr langsam wachsendes Tier“, sagt Jantzen bedächtig.

Jetzt stellt sich ein Gummistiefel besitzergreifend auf die Kiste mit den klaffenden Rotbarschmäulern: „Einssechzig“, ruft der Fischgroßhändler. Die anderen Händler fluchen leise. Eine Mark sechzig für das Pfund Rotbarsch — das ist ein Wort!

Manche Käufer kürzen ab und rennen mit Straßenschuhen über die Kisten

Letzte Woche kostete das Pfund noch 1.10. Doch das überraschend heiße Wetter hat den Leuten den Appetit auf Fisch verschlagen — die Auktion blieb auf den Fischen sitzen und mußte sie für wenig Geld an die Tiermehlfabriken abgeben. Deshalb hat sie diese Woche den isländischen Trawler am Kai nur zur Hälfte ausgeladen. Jetzt sind aber die Bestellungen von den EinzelhändlerInnen wieder gestiegen.

Die Fischgroßhändler und Fischfabrikanten, die hierher

hier bitte die

Hand mit dem Messer

vor dem Leuchttisch

Der Arbeiterin am Leuchttisch entkommt kein Fischwurm

zum einkaufen kommen, treten nervös von einem Bein aufs andere, sprechen aufgeregt in Funktelephone. Die Ware ist rar, der Preis steigt. „Achtsechs,neunsechs, einsiebzig“, leiert der Auktionator. Das Holzhämmerchen saust auf den Tisch der fahrenden Auktionskanzel. Zehn Kisten will der Kunde insgesamt. Das Geschäft wird notiert, Zettelchen mit dem Namen des Käufers werden auf die

Fischleiber geklebt. Der Troß von Kunden, Auktionator, Ausrufer und Schreiber zieht weiter. Manche Käufer kürzen ab: Sie rennen mit Straßenschuhen über die Kistenränder. Erlaubt ist das nicht. Eigentlich darf es nur der weißbekittelte Ausrufer. Der steht breitbeinig und rotgesichtig über den Fischleibern.

Die Säge kreischt, platschend stürzt der Kopf des Kabeljaus auf eine Rinne, rollt dort, von Wasser beschleunigt, weiter. Erneut kreischt die Säge, und ab sind die Seiten des Kabeljaus

Kaum ist eine 50-Kilo-Kiste verkauft, verladen Arbeiter sie auf Wagen. Mit Plastikfolie gegen gierige Möwen bespannt fahren die Wagen zu den einzelnen Filetierungsbetrieben und Großhändlern im Hafengebiet. Auf dem Hallenboden bleiben kleine Pfützen von weißem Fischschleim zurück. Nachmittags wird die Halle gereinigt, die Plastikkisten kommen in die Waschmaschine. Abends ab acht Uhr wird schon das nächste Schiff entladen.

Ausgenommen sind die Fische schon, wenn sie auf der Auktion verkauft werden. Kopf, Flossen und Wirbelsäule sind noch dran. Vor dem Verkauf müssen sie also filetiert werden. Die Säge kreischt, platschend stürzt der Kopf des Kabeljaus auf eine Rinne, rollt dort, von Wasser beschleunigt, weiter. Erneut kreischt die Säge, und ab sind die Seiten des Kabeljaus: die Filets.

Zwei Drittel des Fisches gelten als Abfall und werden entweder in einem Bremerhavener Betrieb für Hunde- und Katzenfutter oder in einer Fischmehlfabrik in Cuxhaven als Abfall weiterverarbeitet.

Am Leuchttisch schneiden Arbeiterinnen Blutflecke und Bauchlappen weg. Besonders genau schauen sie sich den Bauchraum an: Gegen das Licht sieht man jeden der berüchtigten Nematoden-Würmer.

Neben dem maschinellen Filetieren wird auch noch von Hand filetiert: Das ist teurer, doch das Fleisch wird beim Schneiden nicht so gedehnt, und die Ausbeute ist größer. Die Hand, die den Fisch hinter den Kiemen packt, trägt einen grauen Gummihandschuh. Die Hand mit dem Messer dagegen ist nackt: ein Schnitt hinter der Kiemenklappe, dann quer durch den Fisch zur Schwanzflosse hin, auf der anderen Seite dasselbe — fertig sind die Filets.

„Abends nehme ich immer ein Handbad“, erzählt der Arbeiter. Blaumann, Gummikittel und Ärmelschoner halten nicht allzuviel ab. Außerdem bekommt er nur einmal in der Woche einen frischen Blaumann gestellt. Der Mann zieht sich deshalb nicht nur nach der Arbeit um, sondern auch nochmal zuhause. Schließlich stinken auch die Sitze des Firmenbusses nach Fisch. Tricks gegen das Stinken gibt es keine. Aber einen alten Trick gegen Verletzungen durch die Dornen des Barsches kennt er: „Auge eindrücken, Fingerkuppe drin baden, das desinfiziert richtig gut.“

Christine Holch