Altersarmut auf Sozialhilfeniveau

■ Frauen überlassen Finanzangelegenheiten noch immer häufig den Männern

„Wie sieht denn das bei Ihnen aus, arbeiten Sie freiberuflich oder festangestellt für die taz?“ Die Frau, der ich in ihrem Büro am Friedenauer Süd-West-Korso gegenübersitze will scheinbar an mir ein persönliches Exempel statuieren. „Frei“, gebe ich zerknirscht zu und gestehe lieber gleich, daß ich mir um meine finanzielle Altersversorgung bislang wenig Gedanken gemacht und Lebensversicherungen immer für ziemlich überflüssig gehalten habe. Ein typisches Verhalten für eine Frau unter dreißig, wie mir die Berliner Finanzberaterin Heide Kollatz bestätigt.

„Die meisten Frauen kommen viel zu spät hierher“, sagt sie mit einem Anflug von Ärger in der Stimme. Seit sie 1985 ins Versicherungsgeschäft einstieg und sich auf die Beratung von Frauen spezialisierte, machte sie immer wieder die gleiche Erfahrung: Frauen überlassen das Thema Finanzen und Altersvorsorge entweder ihren Männern oder verdrängen es so gut wie möglich.

Meistens braucht es erst eine Scheidung oder den Wunsch, sich selbständig zu machen, bevor Frauen an die Tür von Heide Kollatz klopfen. Wenn Sie dann Ihren persönlichen Finanzhaushalt zur Analyse auf den Tisch legen, wird meistens klar, daß akuter Handlungsbedarf besteht. Wer sich als Frau nur auf die gesetzlichen Rentenversorgung verläßt, geht mit ziemlicher Sicherheit der Altersarmut auf Sozialhilfeniveau entgegen. Nach Meinung von Heide Kollatz liegt das nicht zuletzt daran, daß Frauen heute in gleichen Berufen immer noch weniger verdienen als Männer. Ihre Erfahrung: „Man muß schon sehr früh anfangen, das Geld anzuhäufen, daß man im Alter braucht.“ Männer hätten damit weniger Probleme, da sie oft sparsamer seien und vor allem früher über ihre Altersversorgung nachdenken.

„Frauen geben einfach mehr Geld aus“, was heißen soll, daß sie wesentlich häufiger über ihre Verhältnisse leben. „Da gibt es Kundinnen, die wollen sich eine Eigentumswohnung kaufen, obwohl sie überhaupt kein Geld dafür haben“, sagt sie. Warum solche unrealistischen Finanzierungswünsche bei Frauen häufiger Blüten treiben als bei Männern, liegt nach Ansicht der Finanzexpertin vor allem an der traditionellen Erziehung, in der Geldgeschäfte immer noch Männersache sind. Neben ihrer Tätigkeit als Beraterin organisiert sie deshalb Vorträge und Seminare zu Finanzthemen, um Frauen in diesem Bereich weiterzubilden.

Unzufrieden ist die 38jährige Geschäftsfrau mit der hiesigen Politik, wenn es darum geht, Unterstützung für ihr Engagement zu finden. „Wenn ich Frau Bergmann zu einem Seminar zum Thema ,Frauen und Versicherungen‘ einlade, hat sie keine Zeit.“ Ein Sozialhilfeprojekt dagegen, in dem sich Frauen engagieren werde vom Senat eher beachtet. „Daß Frauen Einfluß nehmen wollen und Karriere machen, ist immer noch ein Tabu“, findet sie und tritt mit ihrem eigenen Lebenslauf für das Gegenteil ein. Vor acht Jahren verabschiedete sie sich von ihrem Beruf als Medizinisch-technische Assistentin mit einem simplen Grund: „Ich wollte einfach mehr Geld verdienen.“ Die Aussicht, bis zu ihrer Rente immer das gleiche mickrige Gehalt auf dem Konto zu sehen, war ihr ein Greuel. Fazit: Sie nutzte den Mutterschaftsurlaub, sattelte ins Versicherungswesen um und machte sich selbständig.

Mit ihrer geldorientierten Einstellung zu ihrem Beruf sieht sie sich unter ihren Geschlechtsgenossinnen in Berlin eher als Rarität. „Die Arbeit soll Spaß machen, und ich will mich selbst verwirklichen“, das seien meistens die einzigen Gründe für Berliner Frauen, sich selbständig zu machen. Daß die Arbeit vor allem aber auch Geld einbringen muß, wird darüber häufig vernachlässigt.

Frau Kollatz sieht darin vor allem ein hausgemachtes Problem. In Städten wie Hamburg, München oder Frankfurt, wo sie gerade eine Dependance gegründet hat, sei es viel selbstverständlicher, daß auch Frauen mit Geld umzugehen verstehen, weil sie mehr verdienen und in den Chefetagen sitzen. Dies bestätigen ihr auch Kolleginnen aus dem ganzen Bundesgebiet, mit denen sie regelmäßig in Kontakt steht. Daß sich in dieser Hinsicht auch an der Spree etwas ändern könnte, sieht Heide Kollatz nicht. „Berlin wird Beamtenstadt“ – ihrer Meinung nach eine schlechte Voraussetzung für Berliner Frauen, ans große Geld und vor allem an verantwortungsvolle Posten zu gelangen. Christine Berger