Auf den Spuren der Karawanen

Die touristische Entwicklung in den Oasen der westlichen ägyptischen Wüste  ■ Von Arno Köster

Der Berg ragt rund 400 Meter in den Himmel. Seine Form erinnert an die Pyramiden von Gizeh. Stolz steht er alleine am Rand eines kleinen Gebirgszuges, der die Oase Baharia umgibt. Uralte Karawanenwege haben sich in der libyschen Wüste in die Steine geprägt. 1873 hatte der deutsche Wüstenforscher Gerhard Rohlffs die erste Karte dieser Gegend anfertigen lassen. Mit einem Reisetroß folgte er damals den alten Spuren. Auf seinem Weg lagen die Oasen Baharia, Farafra, Dachla und Kharga. Rohlffs mochte diese Gegend nicht; sein Interesse war rein wissenschaftlich. Immer wieder mußte seine Expedition, die aus zahlreichen Kamelen, Dienern und Forschern bestand, stoppen. Zu mächtig waren Wind, Dünen und Wüste für die vom preußischen Luxusleben Verwöhnten. Rohlffs und seinen Mannen erschloß sich nur ein Teil dieses Gebietes; die Schönheit entdeckten andere nach ihm.

Die meisten Wüstentouristen kommen in die östliche Sahara, den Sinai. Hier haben Neckermann und TUI längst Einzug gehalten. Anders im westlichen Teil – der libyschen Wüste. Die vier Oasen Baharia, Farafra, Dachla und Kharga gehören zum new valley, einer Region in Ägypten, die 45,8 Prozent des Landes umfaßt. Baharia – „die Nördliche“ – liegt rund 600 Kilometer von Kairo entfernt, Kharga rund 200 Kilometer von Asyut im Niltal. Das trockene Klima mit einer durchschnittlichen Luftfeuchtigkeit von 9,5 Prozent macht die Oasen zu ausgezeichneten Kurorten.

Mineralhaltige Quellen sind gut für die Behandlung von Rheuma, Allergien, Magen- und Darmkrankheiten. Das überwiegend heiße Wasser kommt aus bis zu 1.200 Meter Tiefe.

Bis Mitte der 80er Jahre galt das Gebiet unter Rucksacktouristen als Geheimtip. Mittlerweile entdecken immer mehr Pauschalanbieter die Oasen und bieten teure und schnelle Kurztrips an.

Mit dem aufstrebenden Tourismus hat auch das Geld Einzug gehalten. Alte, von Handel und Landwirtschaft geprägte Gefüge geraten ins Wanken. Durch den diesjährigen Besucherrückgang in Ägypten ist diese Entwicklung nur unterbrochen.

In Bawiti, dem Hauptort der Oase Baharia, liegt das Hotel „Alpenblick“. Wegen der entsprechenden Aussicht hat ein Schweizer dem Hotel in den 70ern seinen Namen gegeben. Sahel, der Besitzer, ist ein einfacher Mann aus dem Dorf. Seit Generationen lebt seine Familie in Bawiti. Der Alpenblick war lange für die wenigen Rucksacktouristen eine billige Unterkunft. Nachdem das Hotel in immer mehr Reiseführern auftauchte, verfügte die ägyptische Regierung Abriß und Umbau. Fortan sollte es staatlichen Normen entsprechen und von der Tourismusbehörde überwacht werden. Viele Menschen aus Bawiti haben beim Umbau geholfen, Ende 1991 schließlich war es fertig; der „Alpenblick“ erstrahlte in neuem Glanz. Doch mit dem Wandel hat sich auch Sahel verändert. Heute genießt er seinen kleinen Ruhm und ist ein knallharter Geschäftsmann geworden. Er kontrolliert von seinem Büro aus fast alle touristischen Aktivitäten, organisiert Ausflüge, besorgt Jeeps und veranstaltet Feste mit der örtlichen Folkloregruppe.

Alles gegen angemessene Bezahlung. Dabei entzieht er sich jeder staatlichen Kontrolle und legt willkürlich Preise fest. Da Baharia zum Verwaltungsbezirk Gizeh/ Kairo gehört, gibt es keine staatliche Autorität, die Sahel auf die Finger schaut. Viele Menschen in der Oase sehen diese Entwicklung mit Unbehagen. „Vor ein paar Jahren haben wir für wenig Geld alles für die Touristen getan“, erzählt Mahmoud Abu Shanab, der früher im Alpenblick gearbeitet hat. „Heute drängen sich um einen Touristen vier Führer, die ihn durch die Oase fahren wollen. Dabei unterbieten sie sich gegenseitig. Alles geht nur noch ums Geld, und beherrscht wird das Ganze vom Alpenblick. Baharia ist fertig.“

Abu Schanab ist deshalb mit einem Freund nach Farafra gegangen. Hier haben sie ein Café gepachtet, das sie jetzt für Touristen und Durchreisende umbauen. „Wir verdienen im Monat 200 Pfund (etwa 100 DM). 150 bekommt der Besitzer, 50 bleiben uns. Das reicht zum Leben. Für was brauchen die in Baharia soviel Geld? Sie können es sowieso nicht ausgeben.“

Farafra – rund 170 km südwestlich von Baharia gelegen – ist die kleinste der vier Oasen. Noch bis vor einigen Jahren war sie nicht auf der Landkarte zu finden. Die 2.000 EinwohnerInnen leben auf einer Erhebung, dem Dorf Quasr el-Farafra. Mit seinen verwinkelten Gassen und der alten Stadtmauer ist Farafra wohl die typischste aller Oasen. Früher war sie eine wichtige Zwischenstation auf dem Weg der Karawanen ins Niltal. Heute ist dort eine gut ausgebaute Asphaltstraße.

Vor den Toren der Stadt lebt Badr. Der Künstler zeigt mit seinen Skulpturen und Bildern das alltägliche Leben in Farafra. In Ägypten kennt ihn niemand. Eine Ausstellung bei München hat ihn vor einigen Jahren in Deutschland bekannt gemacht. Badr befürchtet Schlimmes, wenn die Touristen kommen: „Bis jetzt leben wir in Ruhe und Frieden“, sagt er. „Alles geht seinen Weg, Probleme lösen wir auf unsere traditionelle Weise. Doch die Touristen werden kommen. Baharia haben sie bereits zerstört. Leute wie Abu Shanab fliehen hierher – das ehrt sie. Doch sie wollen auch mehr Touristen nach Farafra bringen. Schon heute plant und baut die Regierung Häuser, die nicht in die Landschaft passen. wenn erst mal viele Gäste hier sind, wird das zunehmen. Ich weiß nicht, ob unsere Menschen damit klarkommen. Das sind einfache Leute. Mit den Touristen wird das Geschäft kommen und mit dem Geld dann der Neid.“ So wie Badr denken viele in Farafra. Ähnlich wie in Baharia gibt es keine Behörde, die die Entwicklung kontrollieren könnte. In den Straßen werden die wenigen Besucher – trotz ägyptischer Gastfreundschaft – vor allem von alten Menschen skeptisch angeschaut. Kinder betteln bereits um Kugelschreiber und Bakschisch. Zu sehr dringen manche Urlauber mit ihren schweren Motorrädern und Jeeps in den ruhigen Alltag der Bewohner ein.

Mitten im new valley liegt Dachla, die fruchtbarste der Oasen. Die Bewohner pflanzen Zitrusfrüchte, Oliven und Datteln, die auch exportiert werden. Wegen der Nähe zu Libyen war das Gebiet bis 1979 nur mit Sondererlaubnis zu durchfahren. Hier wollte Präsident Nasser 1958 sein gigantisches Umsiedlungsprojekt starten. Menschen aus dem bevölkerungsreichen Nildelta sollten in Dachla angesiedelt werden. Wegen Ägyptens diverser Kriege und aus Geldmangel mußte das ehrgeizige Projekt häufig unterbrochen werden. Dachla hat es eine gute Infrastruktur und eine funktionierende Verwaltung beschert. Nach der Öffnung der Region 1979 begann auch der Tourismus. Zuerst vermieteten die BewohnerInnen kleine Gästezimmer. Später schickte die Regierung Geschäftsleute aus Kairo, die hier Hotels eröffneten. Wegen des gesunden Klimas und den in Dachla besonders mineralhaltigen Quellen entwickelte sich eine Art „Gesundheitstourismus“. Der Ort wurde zum Geheimtip für Entspannungsbedürftige. Doch anders als in Baharia und Farafra hat die Regierung die Entwicklung hier noch unter Kontrolle. Das Ministerium hat Inspektoren eingesetzt, die in jedem Restaurant und Hotel Kontrollen durchführen. In Dachla müssen alle Besitzer Preislisten aushängen. Jede Woche wird nachgeforscht, ob sich etwas verändert hat. Ibrahim Mohammed Hassan, der Tourismusmanager, versucht in Gesprächen mit Besuchern zu erfahren, wo gegen die Regel verstoßen wird (siehe Interview). Auch wegen seiner zahlreichen Altertümer aus allen ägyptischen Epochen lockt Dachla die Besucher an. Langsam läuft die Oase den überlaufenen Orten Luxor und Assuan den Rang ab. In den kommenden Jahren werden deshalb wohl noch mehr Menschen hierher kommen. Ein großes Touristendorf ist bereits fertig, ein zweites – vom berühmten Architekten Hassan Fahty geplant – in Bau.

Rund 170 Kilometer von Dachla entfernt in Richtung Nildelta liegt Kharga. Sie ist die städtischste im new valley und wird zweimal wöchentlich von Kairo aus angeflogen.

Auf den ersten Blick bietet sie Touristen keinen besonderen Reiz. Der Hauptort Kharga ist häßlich und erinnert ein bißchen an Arbeitersiedlungen in der ehemaligen DDR. Eine große Dattelfabrik verarbeitet die Produkte der Oasen, gleichzeitig werden hier alle Güter für das new valley umgeschlagen. Gewohnt wird in Hotels der gehobenen Klasse, und außer Besichtigungstouren zu alten Tempeln oder Handwerksbetrieben hat der Ort nicht viel zu bieten. Kharga geht routiniert mit Besuchern um. Schon lange vor den anderen Oasen kamen Fremde aus aller welt hierher.

Der Weg zurück nach Kairo führt über Asyut und El Minia durch das Niltal. Zur Zeit werden Touristen auf dieser Route von Polizei und Militär begleitet. Diese Maßnahme gilt ihrem Schutz. Der ägyptische Staat will gegenüber den islamischen Fundamentalisten Stärke zeigen. Die Übergriffe auf Touristen haben Ägypten in diesem Jahr einen Besucherrückgang von 50 Prozent beschert. Für ein Land, das auf diese Devisen angewiesen ist, kommt das einer kleinen Katastrophe nahe. Auf den ersten Blick erscheint der Polizeischutz übertrieben; doch die Sache relativiert sich, wenn man bedenkt, daß in Deutschland niemand Ausländer vor Übergriffen einer extremistischen Minderheit schützt. Auch das unterscheidet Ägypten: Die Fundamentalisten haben im Volk keine stillen Beifallklatscher – ganz im Gegenteil. Jede ÄgypterIn stellt sich im Ernstfall vor den ausländischen Gast, um ihn zu schützen. Viele Touristen, die auf dieser Route unterwegs waren, haben das erlebt.

Reisetips:

Die beste Reisezeit ist November bis April. Die Temperaturen liegen tagsüber bei 22, nachts nahe 0 Grad. Im Sommer ist es mit bis zu 50 Grad sehr heiß. Es empfiehlt sich, entweder kleine Gruppenreisen zu buchen oder den öffentlichen Bus zu nehmen. Die Oasen sind durch ein gut ausgebautes Straßennetz verbunden. Wohnen kann man in Baharia in einfachen sudanesischen Palmhütten oder im Hotel Alpenblick (ca. 20 Pfund pro Nacht). In Farafra gibt es ein Jugendhotel mit Gemeinschaftsschlafsälen (10 Pfund pro Nacht). Etwas komfortabler wird es in Dachla und Kharga. Hier kosten die Hotels zwischen 50 und 200 Pfund pro Nacht.

Informationen über das ägyptische Konsulat in Frankfurt. Die besten Touren bietet das Arabische Zentrum in Mannheim, Rheinauer Ring 150, Telefon: 0621/801284.