Populärer Kleidertausch

Im Wahlkampf proben spanische Sozialisten Volksnähe  ■ Aus Madrid Antje Bauer

Wenn spanische Politiker den dunklen Anzug und die Krawatte im Schrank lassen und hemdsärmlig Bäder in der Masse nehmen, wissen die Untertanen: Wahlen sind in Sicht. Seit Premierminister Felipe González die Vorziehung der Wahlen auf den 6. Juni bekanntgab, füllt sich täglich der Fernsehschirm mit lächelnden Politikern in T-Shirts und lockeren Pullis. Für den schnauzbärtigen Spitzenkandidaten der rechten Opposition, José Maria Aznar, ist der Kleidertausch neu und wirkt ein wenig wie Verkleidung. „Wir Rechten sind nicht mehr wie zu Francos Zeiten“, soll das lockere Outfit signalisieren und den Bürgern die alte Angst nehmen. Andersherum läuft es bei den regierenden Sozialisten. „Wir sind immer noch dieselben netten sozialistischen Jungs wie vor elf Jahren“, heißt die Message der offenen Kragen, „auch wenn ihr uns inzwischen nur noch aus Staatskarossen steigen und mit Wirtschaftsbossen palavern seht.“

Auch die Schüsselbegriffe der Politikerreden ändern sich im Wahlkampf. Während González bei seinen sonst rar gesäten öffentlichen Stellungnahmen vor allem über Senkung der Inflationsraten, Steigerung der Produktivität und die internationale Verantwortung des Landes spricht, taucht jetzt plötzlich „die Rechte“ als Bedrohung Spaniens auf. „Der Wandel“ wird beschworen, so als seien die Sozialisten nicht bereits elf Jahre an der Regierung und müßten erst jetzt eine Wende in Richtung „Fortschritt“ einleiten – ein typisch hilfloser Rückgriff auf alte Werte vor den Wahlen.

Vor elf Jahren mit einem gemäßigt linken Konzept angetreten, haben sich die Sozialisten nach und nach so weit in Richtung politische Mitte bewegt, daß ihre Positionen heute nur noch in Einzelpunkten von denen der rechten Opposition abweichen, die in der Zwischenzeit eine Bewegung in entgegengesetzter Richtung durchgemacht hat. Von einer Anti-Nato-Partei haben sich die Sozialisten zu einer Organisation gemausert, deren Regierung bei kriegerischen Konflikten in der Welt – Irak, Jugoslawien – mit Truppen immer gleich zur Stelle ist und keine Probleme hat, der marokkanischen Diktatur Waffen zu verkaufen. Die Sozialistische Arbeiterpartei Spaniens hat in den Jahren des Wirtschaftsbooms – Mitte der 80er Jahre – eine neoliberale Wirtschaftspolitik betrieben, die zum Bruch mit den Gewerkschaften und zu mehreren Generalstreiks geführt hat. Gegenüber der Rechten, die den Schutz des ungeborenen Lebens auf ihre Fahnen geschrieben hat, hat diese Regierung ein Abtreibungsgesetz durchgesetzt. Es ist jedoch so restriktiv, daß ihr sogar die EG dafür eine Rüge erteilte. Eine liberalere Neufassung liegt seit Jahren unverabschiedet in den Schubladen.

Die traditionellen Gegensätze zwischen rechts und links haben sich so weit aufgelöst, daß die Rechte gegen ein neues Polizeigesetz protestierte, daß sie gegen ein geplantes Presseknebelungsgesetz Einspruch erhob und erklärte, die von der Regierung geplante Flexibilisierung von Entlassungen gehe ihr zu weit. Für den Kursverlust der Sozialisten geben Analytiker mehrere Gründe an: die Notwendigkeit, sich 1982 mit dem putschlustigen Militär zu einigen; das Scheitern der linken Wirtschaftspolitik unter den französischen Sozialisten; die schwache Position Spaniens bei seinem Beitritt zur EG, wodurch ungünstige Beitrittsbedingungen akzeptiert wurden. Auch psychologische Argumente werden angeführt: die Begeisterung der jungen Sozialisten, auf dem internationalen Parkett anerkannt zu werden, und das daraus resultierende Bedürfnis, dort nicht aus dem Rahmen zu fallen; der traditionelle spanische Minderwertigkeitskomplex gegenüber dem Rest Europas und der damit verbundene Respekt vor den dortigen Rezepten; und schließlich: das Fehlen einer echten Opposition, welche die Sozialisten zum Denken und zum Beziehen einer Position gezwungen hätte.

Die Wählerschaft reagiert auf den Kursverlust ebenso wie die Sozialisten selbst: hilflos. Bei jeder vergangenen Wahl wurde die Mehrheit der Sozialisten dünner. Diesmal könnten sie erstmals die Regierung abgeben müssen. Wegen der Nichtwähler, denen Hemdsärmligkeit einmal in vier Jahren nicht mehr reicht.