„Ich bin wahnsinnig zäh“

Die schleswig-holsteinische SPD will an diesem Wochenende eine/n NachfolgerIn für Björn Engholm nominieren/ Die Wahl von Heide Simonis scheint so gut wie sicher  ■ Ein Portrait von Bascha Mika

Ihr Hut spottet jeder Beschreibung. Ein schleifengeschmücktes Kapottmodell, das aufgesetzt bis auf die Augenbrauen herabrutscht und sich an den Ohren festhält. Selbst die englische Queen – die Königin aller Filzdeckel – würde bei diesem Kopfputz vor Neid erblassen. Doch was auf dem majestätischen Haupt von Elisabeth II. wie eine Rache des Modeschöpfers aussehen würde, sitzt auf dem bürgerlichen Scheitel der Heide Simonis gar nicht so schlecht. Ihr steht dieser Aufsatz. Darunter schaut ein schmales Gesicht hervor, nach vorne spitz zulaufend wie bei einem Vogel. Die Augen sind rund und von mildem Braun, die Züge aber sind scharf.

Außer dem Hut, dem irritierte Männer in Schleswig-Holstein ganze Kommentarspalten widmen, hat Heide Simonis noch einen entscheidenden Vorteil gegenüber der Queen: sie hat politische Macht und ihr Hut ist nur eine Nebensache. Heide Simonis soll Ministerpräsidentin werden von Schleswig-Holstein. Die erste Landesmutter in Deutschland nach knapp 50jähriger Herrschaft der Väter. Das geht nicht ohne Rumoren in den Reihen der Schlipsköpfe. Wie bei jeder Frau, die Mitglied in einem Männerclub werden will, wird ihre Bewerbung zur Geschlechterfrage. Kann die das überhaupt? Können Frauen das?

„Es gibt niemanden, der als Muster dienen könnte“, sagt Heide Simonis vorsichtig, und: „Ich dämpfe lieber die Erwartungen des Publikums.“ Das klingt bescheidener, als sie ist. Die Endvierzigerin gehört nicht mehr zu der Frauengeneration, die ihren Ehrgeiz nur heimlich ausleben konnte. Sie hat den Willen, sich durchzusetzen und zu handeln. Das hat sie seit mehr als 20 Jahren im Politikgeschäft bewiesen. Doch was bei jedem männlichen Kandidaten als selbstverständlich vorausgesetzt würde, muß sie immer wieder betonen: „Natürlich traue ich mir das Amt der Ministerpräsidentin zu.“

Ihre ersten Auftritte als stellvertretende Landeschefin meistert sie leicht nervös, aber gekonnt: macht dem Bundespräsidenten und anderen Honoratioren artig Honneurs, ist dezent und präsent. Doch zwischendrin bricht bei der First Lady immer wieder ein Stück Simonis durch: impulsiv, sehr direkt und nicht so scheintot wie die männlichen Politfunktionäre ist sie dann; wenig dezent läßt sie ihrem schnoddrigen Mundwerk den Lauf. „Puh“, stöhnt sie, während sie vor einer Horde Fotografen die richtige Pose sucht, „der letzte Job, den ich machen möchte, ist Model.“

Rasch, etwas unbesonnen kann sie sein und zählt das zu ihren schlechteren Eigenschaften. Genossen sagen es direkter: „Sie schlägt erst zu und fragt dann!“ Anders als der frühere Chefverkäufer Engholm hält sich an kein Redemanuskript. Und ihre MitarbeiterInnen erzählen süffisant: Das macht sie nicht nur, um lebhaftere Töne, sondern hauptsächlich, um Spitzen unterzubringen. Doch Simonis hat noch andere Seiten: „Ich bin weder launisch noch nachtragend. Beruflich hab ich Stehvermögen und bin wahnsinnig zäh.“ Das zählt sie zu ihren guten Eigenschaften; das zeichnet sie auch in der Politik aus.

Elf Jahre saß die Diplomvolkswirtin für die SPD im Haushaltsausschuß des Bundestages, machte eine Arbeit, die Sitzfleisch und Ausdauer verlangt. Da konnte sie nicht nur beweisen, daß Frauen rechnen können, sondern noch etwas anderes zeigen: daß sie gut mit Männern kann und Männer mit ihr. Der Haushaltsausschuß ist – wie der für Finanzen und Verteidigung — eine Männerdomäne. Frauen haben es da nicht leicht. Doch Heide Simonis brachte genau die Art mit, die ihren Politikerkollegen so angenehm ist: sie war kompetent und hart bei der Sache, im Umgang burschikos und kumpelhaft, dabei durchaus attraktiv – ohne lästige Emanzentöne. „Ich eine Feministin?“ fragt sie spöttisch, „das würde Alice Schwarzer doch sowieso bestreiten.“

Frauenbewegte Politikerinnen betrachten ihren Aufstieg deshalb auch zwiespältig: daß eine Frau hochkommt – prima! Daß Heide Simonis sich dabei ostentativ von „Quotenfrauen“ abgrenzt – schon weniger prima. „Ich fänd es gerechter“, ärgert sich Inge Wettig- Danielmeier, früher Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen (AsF), „wenn sie klarmachen würde, daß sie letztlich doch eine Quotenfrau ist.“ Denn alle Fachkompetenz hätte ihr ohne die bewußtseinsverändernde, türenöffnende Quotendiskussion nichts genutzt.

Karin Junker, Nachfolgerin als Vorsitzende der AsF, beschwichtigt: „Ich kann es nicht ab, wenn Frauen über Frauen mäkeln.“ Das erfülle doch nur die Erwartungen der Männer. „Wenn wir nicht geschlossen hinter einer Frau stehen, kommt immer nur ein Mann an die Spitze.“ Allerdings reagierte die AsF mit keiner Silbe, als Engholm – nach dem Rücktritt Günther Jansens – Heide Simonis zu seiner Stellvertreterin kürte.

So brauchen Männer in Simonis nicht die sogenannten weiblichen Anteile zu fürchten, sondern die männlichen: sie beherrscht die Sprache der Macht, wird dadurch zur gleichberechtigten Konkurrentin. Wo Politikerinnen, die offensiv für Gleichberechtigung eintreten, schnell zur Zicke gestempelt werden, wird sie von Männern gelobt: „Sie ist sehr sachlich, hat aber einen ganz erheblichen Charme dabei.“ Simonis selbst resümiert: „Frau sein ist kein Handicap“, und: „Ich hab auch immer Förderung von Männern bekommen.“ Über ihren eigenen Ehemann, den Umweltprofessor Udo Simonis, bemerkt sie: „Er hat bemerkenswert ruhig auf meine Kandidatur für das Ministerpräsidentinnenamt reagiert und ist ja auch die ganzen Jahre hindurch mitgelaufen.“

Seit ihrer Bonner Zeit duzt sie sich mit Theo Waigel und den fürchterlichsten Kerlen in der CDU – was sie jedoch nicht daran hinderte, ihnen bei Debatten kräftig vors Schienbein zu treten. So kann Schleswig-Holsteins Frauenministerin Gisela Böhrk zufrieden feststellen: „Heide Simonis kann eben das, was Männer können, und was Frauen können, kann sie auch.“

Ihr Ruf als finanzpolitisches Talent beeindruckte Oskar Lafontaine – bei ihm hätte sie 1987 nach gewonnener Wahl Bundesfinanzministerin werden sollen – und Björn Engholm. Der holte sie 1988 nach Kiel, um die von der CDU malträtierte Landeskasse in Ordnung bringen zu lassen. Nach dem Motto „alternativ statt additiv“ machte sie sich als Sparkommissarin so gut, daß selbst die Opposition im Land sich nicht traut, an ihr rumzumäkeln. Dafür wurde ihr das Etikett „Eiserne Lady in Rot“ verpaßt – was mehr als haarscharf daneben ist. Thatcher-Attitüden hat sie nur, wenn sie Finanzen hütet; ansonsten gilt sie – trotz ausgeprägter Konflikt- und Entscheidungsfreude – durchaus als kommunikativ und konsensfähig. Trotz ihrer politischen Karriere, behaupten alte Bekannte, sei sie bis heute unkompliziert und natürlich geblieben. Sie selbst ist sich da nicht so sicher: „Man selber steckt so drin, daß man glaubt, das bin immer noch ich.“

Auch leuchtend Rot ist sie schon lange nicht mehr, eher von verwaschenem Rosa. Aus eher liberal-konservativem Elternhaus trat sie 1969 in die SPD ein. Früher gehörte sie zum linken Flügel, protestierte gegen Nachrüstung, Waffenexporte und Atomstrom. Doch wie die anderen Enkelkinder Brandts ist auch sie, wie sie es nennt, „pragmatischer“ geworden. „Mit der roten Fahne würde ich heut nicht mehr auf der Straße laufen“, sagt sie. Beim Geld vegißt sie sowieso ihr Parteibuch und schlachtet auch heilige Sozi-Kühe: Bei Tarifverhandlungen ist sie als Vertreterin der öffentlichen Arbeitgeber gnadenlos und als Ministerin macht sie weder vor Privatisierung noch Subventionsabbau halt.

Aber weil kein Geld da ist – Schleswig-Holstein muß in Zukunft eine halbe Milliarde einsparen – schlucken die GenossInnen auch das. „Sie hat genügend Möglichkeiten gehabt, sich unbeliebt zu machen“, berichtet Holger Lüth, Ortsvereinsvorsitzender in ihrem Wahlkreis Kiel-Ost, „und das hat ihr nicht geschadet. „Die nordischen Sozis würden sich momentan lieber die Zunge abbeißen, als ein kritisches Wort über Heide Simonis zu verlieren. Sie ist ihre einzige Chance: hat im Land einen Ruf, ist bei allen Barscheleien weit weg gewesen und außerdem eine Frau. Drei Punkte, mit denen die SPD nach dem Rücktritt ihres angeschmuddelten Meister Propper einen Neuanfang signalisieren will.

Doch hinter den Kulissen werden sie es der Neuen nicht leicht machen. Noch ehe Simonis auch nur ein konkretes Wort zu ihrem künftigen Regierungsprogramm sagen kann, stellt sich SPD-Fraktionschef Gert Börnsen vor die Presse und greift in ihre Kompetenzen ein: im Kabinett werde es sicherlich keine Veränderungen geben, verkündet er – obwohl die Stühle des Umwelt- und des Innenministers schon lange wackeln. Überstehen muß Simonis zusätzlich die Unruhe an der Basis nach dem melancholischen Abgang Engholms.

Auch im Land sind ihr nicht alle wohlgesonnen. Da steht die schmale Simonis beim Landesbauerntag zwischen monströs großen Strohpuppen am Rednerpult. Fast, als hätte jemand ein Einschüchterungsmanöver geplant. Männliches Publikum, die meisten aus der Landwirtschaft – eine in dem agrarisch-strukturierten Schleswig- Holstein nicht zu unterschätzende Klientel. Heide Simonis lächelt viel, redet sanft, aber was sie sagt, ist knallhart: Sparen, Sparen und noch einmal sparen. Welcher subventionsgewöhnte Bauer kann das schon gut hören? Es wird gemurrt: „Warum müssen gute Männer von einer Frau geführt werden?“ fragt ein Landwirtschaftsmeister.

Mit stillem Zähneknirschen bedankt sich Bauernführer Karl Eigen bei Simonis für die Rede. Gerade diese Frau hat dem CDU- Mann und seiner traditionell konservativen Bauernschaft einen derben Zacken aus der Krone gebrochen.

Beim Bundestagswahlkampf 1976 trat die Rote gegen den Schwarzen in seinem Wahlkreis Rendsburg-Eckernförde an. Eigen verlor. Da soll er gesagt haben: „Wie soll ich mit dieser Frau diskutieren, wenn sie immer so durchsichtige Blusen trägt?“

Solche Sprüche werden Simonis wohl kaum beeindrucken. Und anderes? Wird sie in ihrer neuen Position von Alpträumen geplagt? Da verkündet die rothaarige Frau zum Schrecken aller Psychoanalytiker: „Eigentlich erinnere ich mich nie an meine Träume. Wenn ich aber einen Alptraum hätte, wäre es der, jetzt einen Riesenflop hinzulegen.“