Wer verstaatlichte die Häuser an der Hafenstraße?

■ Erst die SPD schaffte, was die Nazis bloß geplant hatten: Den Kauf der heute weltberühmten bunten Häuserzeile am St. Paulianer Hafenrand

: Den Kauf der heute weltberühmten bunten Häuserzeile am St. Paulianer Hafenrand

Wolfgang Dirksen, Immobilienchef des Häusersextetts an der Hafenstraße, runzelte am 12. April ärgerlich die Augenbrauen. Anlaß war, wieder einmal, die taz. Sie hatte in ihrer Osterausgabe ein pikantes Detail der Hamburger Stadtgeschichte veröffentlicht. In einem Artikel über St. Pauli hieß es: „1933 übernahmen die Nationalsozialisten mit willfähriger Hilfe von Verwaltung und Establishment die Stadt Hamburg. Mit klugem Machtinstinkt begaben sie sich unverzüglich an die Zerschlagung ihnen gefährlicher Milieus — allen voran St. Pauli.“ Und weiter: „... entwarfen die Nazis ein Konzept für eine gewaltige und monströse Fassade am Elbufer. (...) Pikant: Damals kauften die Nazis auch die Häuser an der Hafenstraße.“

Die Nazis als Verstaatlicher der Hafenstraße? Dirksen, als Chef der städtischen „Verwaltungsgesellschaft Hafenrand mbH“ mit der endgültigen Lösung des Hafenstraßenproblems auf rechtsstaatlichem Wege beauftragt, wollte es genau wissen. Notare traten in Aktion, Grundbücher wurden gewälzt. Dann stand fest: Die taz- Nachricht war eine Ente! Die Hausnummer 126 wurde 1956 städtisch, 1957 folgten Haus Nr. 116/118, 1969 die Häuser Nr. 120/122 und 116, 1981 schließlich die Häuser 110 und 112/114. Die taz kann deshalb dem Wunsch Dirksens, „in keiner Form in eine Beziehung zu den Nationalsozialisten gebracht zu werden“, nicht nur verstehen, sie kann ihn, was den Grunderwerb des Häusersextetts anbelangt, auch voll und ganz bestätigen.

Das war es dann aber auch schon. Die Pläne der Nazis, die Häuser am Hafenrand aufzukaufen, plattzumachen und anschließend eine prächtige Fassade am Elbufer hochzuziehen — sie fanden durchaus ihre Fortsetzung in der SPD- Politik der Nachkriegszeit. Peter Michelis, Mitarbeiter der Baubehörde, schreibt dazu in seinem kenntnisreichen Aufsatz „St. Pauli Nachrichten“, erschienen 1989 in der Fachzeitschrift „Bauwelt“ (Heft 27): „Die Wiederaufbaupläne Hamburgs in der Nachkriegszeit griffen überraschenderweise in zwar bescheidener Form, aber doch im Grundsatz die von Konstanty Gutschow (im Auftrag der Nazis — d.Red.) entworfene Elbuferbebauung auf. (...) In diesem Sinne war auch die Ansiedlung des Verlages Gruner + Jahr zwischen dem Fischmarkt und den Landungsbrücken geplant. Dazu wäre es notwendig gewesen, bestehende Mietshäuser an der Hafenstraße, die seit Ende der 30er Jahre durch die Stadt zur Vorbereitung des Umbaus im Sinne des 'Neuen Hamburgs' aufgekauft waren, zu räumen und abzureißen. Dazu kam es nicht mehr, weil die sechs Häuser 1982 besetzt wurden.“ Kurz: Das Plattmachen der Hafenstraße steht nach Auffassung hochrangiger Hamburger Verwaltungsbeamter durchaus in der Tradition nationalsozialistischer Elbufergestaltung. Freilich hat Behördenmann Peter Michelis mal wieder die Schnelligkeit der Hamburger Behörden falsch eingeschätzt: Zwar wollten schon die Nazis kaufen — sie schafften es aber nicht. Dann wollte die Stadt in den 50er Jahren alles kaufen — schaffte aber bloß ein Drittel. Dann winkte Ende der 60er Jahre Gruner + Jahr ab — das zweite Drittel wurde bewältigt. Erst 1981 war dann das ganze Sextett verstaatlicht.

Nur 1986 zeigte die Stadt Entschlossenheit: Stadtchef Klaus von Dohnanyi schlug das Angebot des Links-Mäzens Jan Philipp Reemtsma aus, das Problem Hafenstraße durch eine Privatisierung zu lösen. Stattdessen erhielt der linkssozialdemokratische Filz mit seiner Lawaetz-Stiftung den Zuschlag. Die Lawaetz-Stiftung machte schon bald durch eine kluge Hafenstraßenpolitik auf sich aufmerksam, widersetzte sich mehrfach mutig pingeligen Senatsvorgaben. Räumungsfreund Henning Voscherau machte schließlich Klarschiff: Lawaetz mußte die Beute herausgeben, das millionenschwere Räumungskommando Hafenrand GmbH wurde am 26. Mai 1988 als Eigentümerin der vielschiffigen Widerstandskathedrale ins Grundbuch eingetragen.

Das „Neue Hamburg“ am Elbufer, von den Nazis mit Hochhäusern und Stadtautobahnen vorgedacht, von den Nachkriegsplanern „in bescheidener Form“ wiederaufgegriffen, mit Hafenrandstadtautobahn und protzmodernem Kreuzfahrtterminal bruchstückhaft verwirklicht, von Hamburgs Jugend in der Hafenstraße selbst bislang verhindert — es wartet noch immer auf seine Verwirklichung: Eigentum verpflichtet. Florian Marten