Drum geh'n wir auf den Köpfen

Das Stadtforum diskutierte über die Spreeinsel: Zukunfts-Observatorium, Bilder und Collagen für den Marx-Engels-Platz / Vorbereitungen zum Städtebaulichen Wettbewerb  ■ Von Rolf Lautenschläger

Berlin. Auf der Suche nach einem baulichen Sinnbild für die Berliner Mitte verstrickt sich das Stadtforum in immer kompliziertere Hirnwindungen. An den Marx-Engels-Platz auf der Spreeinsel gehöre, so der Publizist und Philosoph Peter Sloterdijk (Karlsruhe) auf der 29. Planungsrunde des Stadtforums, „ein Kraftwerk für die Bildungsprozesse“. Dieser „Palast der Wahrheit“ – anstelle des Palastes der Republik – hätte die Aufgabe, zu einem „Gesellschaftsobservatorium des 21. Jahrhunderts“ zu werden.

Das geistig-kulturelle Labor für unsere Probleme im nächsten Jahrtausend müsse als eine Art neuer Universität verstanden werden. Sloterdijk: „Das Bedürfnis nach Wahrheit und Intelligenz in einem geistigen World-Trade- Center wird gebraucht, weil sich unsere Gesellschaft in einer zentrifugalen Bewegung befindet.“ Statt Solidarität erzeuge unsere Zeit Verantwortungslosigkeit. Im Unterschied zur Zukunftseuphorie der siebziger Jahre sei heute Endzeitstimmung angesagt.

Daß das Wahre in Deutschland zugleich auch immer das Gute und Schöne sein muß, steht auch für Sloterdijk außer Zweifel: Die Semantik des früheren Schloßplatzes verlange nach einem Gebäude für große nationale Gefühle. Der Ort brauche eine „würdige bauliche Geste der Demokratie“, sagte Sloterdijk.

Daß man im Stadtforum auf den Köpfen geht und nicht mehr auf den Füßen, signalisierte auch der Architekturgeschichtler Kurt Forster (Zürich). Ihn erinnere die Weite des Marx-Engels-Forums an ein Bild des Malers De Chirico. Wie bei dem Maler die Leere des Stadtraums eine metaphysische Energie berge, müßten auch die Plätze auf dem Areal der Spreeinsel aufgeladen werden. Der „Akt der Umgestaltung“ solle sich daher nicht auf die Wiederherstellung der Kunsträume, sondern nach Osten konzentrieren.

Die Anbindung der östlichen Stadtteile an den Alexanderplatz sei wichtiger als ein „malerischer Abschluß“ der Straße Unter den Linden bis zum Marx-Engels- Platz. Die Rekonstruktion des Stadtschlosses lehnte Forster darum ab. Eine „Collage aus Elementen des Torsos“ und Neuplanungen ohne „Repräsentanz- Adaptionen“ – eine der wenigen realistischen Forderungen unter den Ratlosigkeiten zum Thema Mitte –, wie sie Jürgen Wenzel (TU Berlin) vorschlug, ging im „Kraftzentrum“ Stadtforum unter.

Daß Stadtentwicklungssenator Volker Hassemer dem Konferenz- und Bibliotheks-Mix auf der Spreeinsel nicht abgeneigt ist, wissen wir. Dennoch sollte er die geistig-kulturelle Hybris nur als Teufelsaustreibung gegen das Ansinnen der Bundesbauministerin Irmgard Schwaetzer gebrauchen und nach unspektakuläreren Möglichkeiten suchen. Hassemer sprach im Zusammenhang mit den Vorbereitungen zum „Wettbewerb Spreeinsel“ nicht nur von einer „Form- und Funktionsmischung“ am Marx-Engels-Platz, sondern auch davon, daß der Platz „geteilt“ werden müsse. Die Mitte, so Hassemer, „gehört nicht nur der Politik“.

Die zweistufige städtebauliche Konkurrenz will Hassemer noch vor der Sommerpause ausloben. Das Wettbewerbsgebiet umfaßt den Standort des Palastes der Republik, das Gelände des Staatsrats sowie die Bereiche der früheren Reichsbank bis zum Molkenmarkt. Das Innenministerium (Reichsbank), das Außenamt (Areal des Staatsrates) und das Justizministerium (frühere Münze) sollten „die Anrainer der Mitte“ bleiben, betonte Hassemer.

Unklar ist noch, ob der Wettbewerb als offenes oder beschränktes Verfahren ausgelobt wird. Die Wettbewerbs-Abteilung in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung hofft, so Patrick Weiß gegenüber der taz, eine zweistufige beschränkte Ausschreibung durchführen zu können. Weiß: „Ein internationaler offener Wettbewerb sprengt den Kosten- und Zeitrahmen. Zugleich bringt er wieder eine unübersehbare Masse von Entwürfen.“ Die Architektin Heide Becker plädierte dagegen für eine breite Bürgerbeteiligung vor dem Verfahren.

Außerdem war zu erfahren, daß am Montag kommender Woche die Preisträger des Wettbewerbs Spreebogen, Axel Schultes, Miroslav Volf sowie Klein und Breucha in eine erste Überarbeitungsrunde geschickt werden sollen. Schultes beispielsweise wird dort aufgefordert werden, zur Freistellung des Kanzleramtes, zur Durchwegung der Ost-West-Spange, zu den Plätzen für das Zeremoniell sowie zum Hubschrauberlandeplatz Vorschläge einzureichen. Zugleich soll über die Hochhausplanungen auf dem Moabiter Werder und über den zentralen Kreuzungsbahnhof diskutiert werden.