Rätsel um Großbrand

■ Unklare Lage nach dem Feuer auf dem Anhalter Bahnhof / Wurden Dioxine freigesetzt? / Vorwürfe an Einsatzleitung

Kreuzberg. Drei leicht verletzte Personen, darunter eine Polizistin – das war die einzige Klarheit, die bis gestern nach dem Ende des verheerenden Großbrand auf dem Lagerplatz am Anhalter Güterbahnhof herrschte. Offen blieb vor allem die Frage: Wurde bei dem Feuer, das am Freitag abend gegen 19 Uhr ausgebrochen und erst am Samstag nachmittag nach über 20 Stunden durch die Feuerwehr gelöscht werden konnte, auch das krebserzeugende Dioxin freigesetzt? Nach Angaben von Kreuzbergs Bürgermeister Peter Strieder ist diese Gefahr nicht gänzlich auszuschließen, befanden sich doch unter den verbrannten Autowracks und Reifen auch größere Mengen an Eisenbahnschwellen, die vor rund zehn Jahren in ein Teeröl-PCB-Gemisch getaucht worden waren und als Einfassung für Kinderspielplätze gedient hatten. Diese waren nach Messungen, die Dioxin-Ausdünstungen festgestellt hatten, von den Spielplätzen entfernt worden. Das Umweltamt des Bezirkes hat unterdessen eine Studie in Auftrag gegeben, die den Boden und das Löschwasser auf Dioxin, Quecksilber und PCB untersuchen soll. Das Ergebnis wird am Dienstag erwartet. Strieder zeigte sich gestern gegenüber der taz erstaunt über das Verhalten der Einsatzleitung vor Ort. Obwohl er am Freitag abend mit detaillierten Unterlagen über die Beschaffenheit des Geländes aufgetaucht sei, habe niemand in der Feuerleitstelle davon Kenntnis nehmen wollen. „Unverständlich“ bleibe ihm auch, warum nicht umgehend eine Luftuntersuchung eingeleitet worden sei – statt dessen habe man ihn mit der Polizeitechnischen Untersuchungsanstalt vertröstet, die zu diesem Zeitpunkt angeblich bereits informiert gewesen sei.

Tatsache ist: Während des ganzen Einsatzes wurde kein Giftalarm ausgelöst. Winfried Guschke vom Lagedienst der Feuerwehr erklärte gestern, Feuerwehr und Umweltkripo hätten noch am selben Abend erste Messungen „mit zur Verfügung stehenden Mitteln“ vorgenommen. Dabei seien keine toxischen Gase festgestellt, demnach auch kein Alarm gegeben worden. Er räumte allerdings ein, daß eine Untersuchung auf Dioxin-Werte durch die Feuerwehr technisch unmöglich gewesen sei. Der gesundheitspolitische Sprecher von Bündnis 90/Grüne, Bernd Köppl, warf gestern der Senatsverwaltung für Umwelt „schwere Versäumnisse“ vor. So sei nach seinen Informationen zu keinem Zeitpunkt der mobile Wagen der Umweltverwaltung zum Einsatz gekommen, mit dem in solchen Fällen Luftmessungen vorgenommen werden können. Nach Köppls Worten zeigt der Einsatz auch die Defizite der Berliner Feuerwehr bei der Bekämpfung von Bränden mit möglichen toxischen Auswir$kungen. Nach wie vor gebe es hierfür keine Vorsorgemaßnahmen. Eine unter dem rot-grünen Senat erstellte Studie, die auf solche Versäumnisse hingewiesen habe, sei „in der Schublade verschwunden“.

Auch über die Ursache des Brandes herrschte gestern sowohl bei Polizei wie auch bei Verantwortlichen Rätselraten. Strieder wollte gestern gegenüber der taz Brandstiftung nicht ausschließen. Um die Entsorgung des Geländes, das der Deutschen Reichsbahn (DR) beziehungsweise der Verwaltung des ehemaligen Reichsbahnvermögens (VdeR) gehört, wird seit längerem gestritten. Der ursprüngliche Vorschlag der Entsorgungsfirma, die Eisenbahnschwellen nach Belgien zu verbringen, war vom Bezirksamt abgelehnt worden. Strieder: „Wir wollten dafür Sorge tragen, daß die Schwellen nicht wieder auf Umwegen in den Handel kommen.“ Die Aufräumarbeiten waren erst vor wenigen Tagen begonnen worden. Nunmehr, so Strieders Fazit gestern, sei die Arbeit durch die „thermodynamische Lösung“ erleichtert worden: „Jetzt braucht man nur noch die Asche zusammentragen und die Schrauben heraussuchen.“ Severin Weiland