: Die Auferstehung der Maladen
Bayern München – Bayer Leverkusen 4:1 / Münchner Wunderheilung pünktlich zum Spiel gegen Stepis Pharmakicker ■ Aus München Werner Steigemann
Alles nur Theater, spannende Aufführung eines sportlichen Schauspiels für die Steigerung der Fernseheinschaltquoten, zu dieser Erkenntnis kann mitunter der Betrachter der Fußballinszenierung Bundesliga gelangen: Auf dem Spielplan stand diesmal „Die Woche der Bayern“ (Trainer Ribbeck). Zu Beginn besagter Tage quälten Hiobsbotschaften die Nerven der Bayern: Olaf Thon so schwer verletzt, daß er drei Wochen aussetzen muß; im Eifer des Trainings beschädigt der Aufsteiger der Saison, Christian Ziege, das Knie seines Vorstoppers Oliver Kreutzer, ebenfalls Ausfall für das Wochenende, und der kernige Holländer Jan Wouters will den übergewichtigen Stürmer Roland Wohlfarth verhauen. Die gesamte Macht der Bayerntrainer konnte gerade noch den Krankenhausaufenthalt von Wohlfarth verhindern.
Ribbeck zeigte sich ob des Meisterschaftsendspurts psychisch gestreßt und Augenthaler spähte in allen Regionen der Welt nach einem Klassestürmer. Der Manager Uli Hoeneß, psychologisch geschult im „Endkampf“ mancher Meisterschaftsauseinandersetzungen (Motivationserweckung bei eigenen Spielern und Beschimpfung des Gegners), unterstellte Jorginho, er sei wirklich kein Überflieger, sonst hätten die Leverkusener ihn nicht verkauft. Worauf der Brasilianer seine Gebete unterbrach, sich eine Grippe einhandelte und verschnupft seine Freigabe forderte.
Der FC Bayern übte sich im Verunsichern seiner Spieler und brachte originelle Elemente der Streitkultur ans Tageslicht. Jedoch, das Wochenende nahte und Wunderdinge geschahen am Isarstrande: Der Konkurrent aus dem Norden strauchelte unter den Hufen der Gladbacher Fohlen. Die medizinischen Zaubermänner in den Reihen der Münchner heilten die maladen Leistungsträger. Verletzungen vergehen, so Trainer Ribbeck, wenn der unbedingte Wille vorhanden ist, sich in den Dienst der Mannschaft zu stellen und mit schmerzverzerrtem Gesicht zu spielen.
Und am Samstag stand ein Gegner im Olympiastadion, der sich mit seinem neuen Trainer weiter unbeliebt macht in den Augen des deutschen Fußballvolkes. Um wenigstens in München, bei den Kollegen Millionären, Sympathie gewinnen zu können, pflegten die Spieler von Trainer Stepanovic ein höfliches und zurückhaltendes Fußballspiel, um zum zweiten Akt der Inszenierung zu kommen.
Herr Stepanovic, in Frankfurt noch liebevoll „Stepi“ genannt, wählte für alle Betrachter ersichtlich, eine falsche Taktik. Zwar ist es lobenswert, in fremden Stadien mit drei Stürmern anzutreten, aber ohne ein dazu passendes Mittelfeld verpufft selbst die Wirkung eines Thom und Kirsten. Hinzu kam die desolate Vorstellung des Torhüters Vollborn. Die Bayern benötigten gute 20 Minuten, um zu bemerken, daß die Bayer-Mannschaft jenseits ihrer hohen Ansprüche agierte. Eine Ecke von Ziege und die Fehler der gesamten Hintermannschaft ermöglichten Helmer das 1:0 per Kopf. Die Bayern erwachten und spielten nun wirklich schönen Fußball. Sie nutzten den Raum im Mittelfeld. Schupp rannte sich die Lunge aus dem Leib, Scholl konnte zaubern und Jorginho kämpfte, als wolle er Hoeneß zeigen, was er an ihm hat. So entsprang das zweite Tor der Münchner einer ansehnlichen Kombination des gesamten Mittelfeldes, abgeschlossen durch Labbadia.
Gelegentlich erinnerten Thom und Kirsten an ihre vermeintliche Gefährlichkeit. Thom knallte den Ball an die Querlatte und Kirsten denselben im Nachschuß über jene Stange. Heiko Scholz durfte einmal die Bayernabwehr ausspielen, um Torwart Aumann mit einem Rückpaß zu prüfen. Dabei wären die Bayern, bedingt durch den Schnellheilungsprozeß von Thon und Kreutzer, sicherlich verwundbar gewesen, wie der rasche Anschlußtreffer nach der Pause zeigte. Die erste Ecke von Bayer erbrachte per Doppelkopfball von Fischer und Kirsten das Tor. Kurz darauf verhinderte der überragende Schupp auf der Torlinie den Ausgleich.
Das wars dann aber auf Seiten der Westdeutschen. Matthäus verließ verletzt den Platz und Schupp erzielte auf Vorarbeit des eingewechselten Wohlfarth das entscheidende 3:1. Wieder half freundlich Torhüter Vollborn mit. Das 4:1 gelang Mehmet Scholl, der von dem zweiten herausragenden Spieler dieses Tages, Wouters, bedient wurde. Kurz darauf beendete der Schiedsrichter das unterhaltsame sportliche Schauspiel, und die billigen Ränge erklärten sich zum Deutschen Meister.
Hinterher begann das große Rechnen. Ist Bayern schon Meister oder nicht? Stepanovic, bei dem sich die Bayern in Form ihres Präsidenten für die Beschimpfungen der Fans entschuldigten, meinte: „Ja“. Kollege Ribbeck war schon skeptischer und will auf „die Euphoriebremse“ treten, weil doch noch sechs Punkte zu vergeben sind. Verliert man am nächsten Wochenende und die Bremer gewinnen, besitzen beide wieder die gleiche Punktzahl, errechneten blitzgescheite Könner der Mathematik.
Bayer Leverkusen: Vollborn - Foda - Wörns, Kree - Fischer, Scholz (72. Herrlich), Lupescu, Hapal, van Ahlen (72. Rydlewicz) - Kirsten, Thom
Zuschauer: 51.000; Tore: 1:0 Helmer (23.), 2:0 Labbadia (42.), 2:1 Kirsten (47.), 3:1 Schupp (66.), 4:1 Scholl (85.)
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