■ Nach der Leipziger Eintracht: eine neue Partei ist geboren: Auf dem Weg zum grünen Godesberg
Krach bei den anderen, in der SPD und in der CSU, während Bündnis 90 und Grüne in Leipzig in schönster Eintracht zusammenfinden – verkehrte Verhältnisse, die von den beteiligten Akteuren erfreut, von der Öffentlichkeit verblüfft registriert werden. So recht fertig ist noch niemand damit, am wenigsten die unmittelbar Beteiligten. Die Mitglieder, die Delegierten, die Mandatsträger der neuen Partei, die am Wochenende ihren Gründungsakt besiegelte. Das Bündnis 90 aus dem Osten, die Grünen aus dem Westen, beginnen ihr gemeinsames Parteileben geradezu gediegen – mit komfortablen Mehrheiten für Leitantrag und Führungsduo, mit einer Parteitagsregie, die die grünen Neigungen zu destruktivem Chaos so gründlich dämpfte, daß die Klagen über Langeweile rundum gingen. Denn die Unterhändler der Vereinigung waren ängstlich darauf bedacht, daß kein Streit die neue Einheit stört. Freilich mit der unerwünschten Nebenwirkung, daß der Veranstaltung in Leipzig die Botschaft fehlte.
Gerade deswegen soll an erster Stelle festgehalten werden: Sie sind doch immer noch für eine Überraschung gut, die Bürgerbewegten aus dem Osten, denen die Einheit à la Kohl so rasch den Boden entzogen hat; und die Grünen aus dem Westen, die im Vereinigungsjahr parlamentarisch gescheitert waren. Denn als einzige politische Kraft haben sie statt des Nachvollzugs der Einheit durch Anschluß so etwas wie einen deutsch-deutschen Integrationsprozeß zustande gebracht. Die Frage lohnt, warum das gelungen ist. Lange vor der Wende haben sich die Alternativen in Ost und West politische und persönliche Bindungen geschaffen, die anders als die Beziehungen der etablierten Parteien in die ehemalige DDR deren Ende überdauern konnten. Aber vor allem beruht der gelungene west-östliche Diskurs der Verlierer von 1990 auf einer besonderen Unbefangenheit. Für die beiden Volksparteien ist das Ende des Sozialismus auch ein Urteil über den politischen und Wertekanon, den sie vertreten. Die Union fühlt sich seither so sehr als Sieger der Geschichte, daß sie die konkrete Verantwortung für die Gegenwart beinahe vergißt. Die SPD muß sich damit herumschlagen, ob sie nicht selbst in den Strudel des Zusammenbruchs gerät. Aber die Postulate nach einem anderen Verhältnis von Gesellschaft und Umwelt, nach anderer Bürgerpartizipation stehen ganz unabhängig vom Jahr 1989. Was die neue Partei will, womit sie identifiziert wird, darum brauchen sich Bündnis 90/Die Grünen eigentlich keine Sorgen zu machen. Neben den Schwarzen, den Roten, den Gelben gibt es als nunmehr etablierten Faktor im Parteienspektrum eben die Grünen.
Aber das ist natürlich nur die halbe Wahrheit. Nicht zufällig gelingt den Grünen der Schlußstrich erst jetzt. Auch sie brauchten das Jahr 1989 und eine kräftige Niederlage, um sich vom Entweder-Oder- Denken zu verabschieden. Die Fragen nach Regierungsbeteiligungen oder Reformpolitik werden in dieser Partei nun nicht mehr im Schema des „alles oder nichts“ diskutiert. Verantwortung für die Gesellschaft, für die Demokratie, ob als Regierung oder Oppositionspartei – mit dieser Formel können die alten Frontstellungen aufgelöst werden.
Noch sind das ungedeckte Wechsel. In Leipzig wurden die Streitthemen nur vertagt, die im Wahljahr 1994 absolut nicht mehr zu vermeiden sind: etwa Bundeswehreinsätze oder Einwanderungspolitik. Vermutlich werden sich diese Konflikte auf dem Papier leidlich lösen lassen. Was aber, wenn diese Probleme praktisch – auf Bundesebene – von grünen MinisterInnen verantwortet werden müssen?
In Leipzig war förmlich zu greifen, daß der größere Teil der Partei die Tragweite der Veränderungen immer noch nicht realisiert hat. Fast instinktiv waren die Akteure darauf bedacht, sich den Weg in die Verantwortung ganz leicht zu machen. Vom Minister bis zur unbekannten Delegierten segelten alle im Windschatten der Schlechtigkeit der anderen Parteien. Denn so ist es leicht, der alten, allenthalben durchschimmernden Sehnsucht doch noch anzuhängen: die ganz andere Partei zu sein, die etwas ganz anderes, die ganz andere Verhältnisse will.
Aber daß auch die grüne Partei die demokratisch verfaßte Bundesrepublik als Bezugsrahmen anerkennt, den sie produktiv gestalten will, das läßt sich nicht ewig hinter dem Rücken der Beteiligten halten. Leipzig war noch nicht das grüne Bad Godesberg. Aber die SPD hat schließlich auch ziemlich lange gebraucht, bis sie wirklich in der Bundesrepublik angekommen war. Tissy Bruns
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