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Innovative Dauerspannung zwischen Partei und Bewegung

■ Interview mit Marianne Birthler, Ex-Bildungsministerin des Landes Brandenburg und seit Samstag neben Ludger Volmer neue Sprecherin der zusammengeschlossenen Partei

taz: Die Vereinigung ist geglückt. Was nun, Frau Birthler?

Marianne Birthler: Jetzt können wir endlich das tun, was wir uns schon lange vorgenommen haben. Wir haben uns an diesem Wochenende dazu das nötige Handwerkszeug zurechtgelegt. Dazu gehört: An unserem Assoziationsprozeß ist nicht nur das Ergebnis wichtig, sondern auch die ganze Art und Weise, wie wir dahin gekommen sind. Wir haben immerhin in Teilbereichen ein wirklich gesamtdeutsches Selbstverständnis entwickelt, und das tut in diesem Lande sehr not. Die deutsche Vereinigung beginnt ja eigentlich erst, und leider hat die Bundesregierung die Weichen so gestellt, daß wir nicht nur mit den Lasten der Teilung zu tun haben, sondern auch mit den Fehlern der Vereinigung. Zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung, vor allem aber für die Demokratie-Entwicklung haben wir einiges an Handlungsansätzen einzubringen.

Für die Bürgerbewegten aus dem Osten und die Öko-Paxe aus dem Westen war der Weg nach Leipzig auch der Weg zu einer ganz normalen Partei. Ist dabei nicht auch etwas auf der Strecke geblieben?

Ganz normale Partei – das bleibt für mich ein Reizwort. Beim Bündnis 90 gibt es viele Leute, die das scheuen. Strukturell sind wir natürlich eine Partei. Wir erfüllen die Anforderungen des Parteiengesetzes. Auf die Dauer werden wir darauf achten, daß diese Strukturen sich nicht so verfestigen, daß immer weniger Leute immer mehr Macht haben. Aber das wird ein Balanceakt sein müssen. Auf der einen Seite brauchen wir Arbeits- und Organisationsstrukturen, die wirklich in die Machtstrukturen dieser Gesellschaft eingreifen können. Aber sie dürfen nicht die Leute abschrecken, denen die Macht allzu normaler Parteien unheimlich ist.

Deswegen sehe ich es für mich als eine der wichtigsten Aufgaben an, das ganze Spektrum zu halten. Also die, die uns sagen: Ihr seid schon viel zu normal, bis zu denen, die ganz normale Strukturen deshalb wollen, weil wir sonst wirkungslos bleiben. Das ist eine Dauerspannung, aber eine innovative – ich werde mich dafür einsetzen, daß wir sie aushalten.

Die nächsten Hürden dieser Art sind schon aufgestellt. Für den Bundestagswahlkampf brauchen Sie ein Programm ...

Es gibt ein paar Reizthemen, die zweifellos Kontroversen auslösen — allerdings nicht in den Lagern: hie Die Grünen, da das Bündnis 90. Bei der Frage nach bewaffneten Einsätzen geht es quer durch die Reihen, aber beispielsweise auch bei der Frage nach der zukünftigen Verteilung der Arbeit. Wenn es uns gelingt, diese Themen auf der Ebene von Sachfragen zu diskutieren, werden wir mit unterschiedlichen Sichtweisen leben können. Fallstricke sehe ich dort, wo solche Sachkontroversen benutzt werden, um Konflikte der Vergangenheit auszutragen. Das ist eine alte Krankheit, da müssen wir sehr wach sein. Aber eigentlich glaube ich, daß Flügelkämpfe dieser Art keine Chance mehr haben. Nicht unbedingt, weil die Leute so vernünftig geworden sind, sondern weil sich von Sachfrage zu Sachfrage andere Koalitionen und Bündnisse ergeben. Da stehen z.B. in der Frage nach den bewaffneten Einsätzen Leute zusammen, deren Meinungen bei anderen Themen weit auseinandergehen. Deswegen rechne ich nicht mehr mit Konfliktgräben und Lagern.

Mit der Bundestagswahl im nächsten Jahr stellt sich wieder die Frage nach dem uralten Lagerthema nach rot-grünen oder sonstigen Koalitionen.

Hier in Leipzig ist sehr deutlich geworden, daß die grundsätzliche Frage nach der Regierungsbeteiligung unstrittig ist. Ich habe überhaupt keine Stimme gehört, die im Grundsatz davor gewarnt hat. Wir werden vielleicht Auseinandersetzungen darüber haben, um welchen Preis wir dazu bereit sind. Einig sind wir darin, keine Statisten- oder Mehrheitsbeschafferrolle spielen zu wollen. Aber auch darin, eine große Koalition verhindern zu wollen. Wir werden uns damit beschäftigen, was die Mindestanforderungen an Regierungsbeteiligung sind, hinter die wir nicht zurückgehen. Rot-Grün ist eine Möglichkeit, eine Kontroverse wird es sicher geben, wenn rein rechnerisch nur die Ampel möglich ist. Natürlich kann ich mir heute nicht vorstellen, mit Lambsdorff zusammen zu regieren. Aber wenn damit eine große Koalition mit verfassungsändernden Mehrheiten verhindert werden kann... Interview: Tissy Bruns, Leipzig

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