Ein Hauch von Besessenheit

■ Konstanze Lauterbach und ihre Inszenierung von Mark Galesniks „Die Besessene“ beim Berliner Theatertreffen

Ist sie selbst eine Besessene? Konstanze Lauterbach wirkt eigentlich bloß rundum verunsichert. Zur Verstärkung hat sie ihre Dramaturgin Cornelia Oehme mitgebracht, und da sitzen die beiden Leipziger Ladies in eleganter Abendgarderobe auf den Bänken der Freien Volksbühne und blinzeln und rauchen Schlote in die Morgensonne. „Ist doch was Schönes, oder?“ fragt die Regisseurin schüchtern zurück. „Sonst könnte ich doch meinen Beruf gar nicht ausüben. Wenn ich Leute motivieren, irgendwohin bringen muß und begeistern will, da sollte man schon einen Hauch von Besessenheit haben. Besessenheit gegen Routine gesetzt, der Vergleich könnte mir schon gefallen.“

Aber schwingt nicht bei der „Besessenen“ auch das Wort „verbissen“ mit? „Klar“ – das gibt sie zu. Das Besessene gefällt den Leuten: das Heroische, Bedingungslose; die andere Seite aber ist das Verkniffene, Distanzlose, Humorlose, Bloßstellende, das unangenehm zu betrachten ist. Doch wenn man so was erlebt habe wie die Frau im Stück, deren behindertes Kind von einem Rudel faschistischer Wölfe umgebracht worden ist, meint Konstanze Lauterbach, dann sei das ein ganz normaler biologisch-physiologischer Prozeß: „Ein emotionaler Stau, der sich entlädt, eine Aufreibung, bei der man auf der Strecke bleibt und keine Distanz mehr zu sich selber hat. Dann will man nicht mehr mit dem Kopf durch die Wand, sondern hat die Wand im Kopf.“

Die Biologielehrerin Nina Schubert (da versteht man was von Wolfsnaturen) stirbt selig, dümmlich – oder „einfach verrückt“ – lächelnd als moderne Jeanne d'Arc auf dem Scheiterhaufen. Gerade das Ende, ihr Ende gefällt der 39jährigen Regisseurin besonders gut. Sie weicht mit diesem bös- phantastischen Schlußbild erheblich von der ein Jahrzehnt alten Vorlage des Stückes aus Vor-Perestroika-Zeiten ab, das mit einer eher satirisch-sozialkritisch ausgerichteten Gerichtsszene endet. Der Selbstjustizlerin wird im Stück der Mordprozeß gemacht, obwohl die Justiz und alle anderen moralischen und erzieherischen Instanzen kläglich versagt haben. Dieses Stück Sozart spart die Leipziger Inszenierung aus guten Gründen aus. Schließlich lebt auch der Autor Mark Galesnik, der „Die Besessene“ bereits 1981 schrieb, inzwischen nicht mehr in Leningrad, das ja wieder St. Petersburg heißt, sondern in Israel. Die Kritik an den Institutionen ist von der Geschichte überholt, das moralisch-kritische Delegationsprinzip hat in jeder Hinsicht versagt.

Lauterbachs Inszenierung ist in der Jetztzeit angesiedelt, auch wenn sie die Zeitebenen wie die Stilformen gewaltig mischt: die Musik fährt von Wagner bis Zimmermann schweres historisches Geschütz auf; das Trio der Lehrerinnen kann wahrscheinlich nur goutieren, wer die Volksbildungsinstanzen der DDR selbst kennengelernt hat: Bigotterie ist auch in atheistisch verfaßten Staatsgebilden keine unbekannte, sondern eine frömmelnde Haltung. „Alltäglichen Faschismus“ nennt die Regisseurin dieses Phänomen, das sie bereits zu DDR-Zeiten wahrgenommen habe und das jetzt bloß hochgekocht sei. Vielleicht vermeidet die Inszenierung darum auf kluge Weise die naheliegende Klischeebildung: Die gesichtslosen Wölfe stellen nicht etwa Neonazis dar, keine Skins mit Glatze und klobigen Stiefeln, sondern kommen fast als Dressmen daher, elegante graue Anzugmänner, die auch schon mal ein zartlilafarbenes Hemd unter dem Jackett tragen. „Es geht mir um die Leute, die wirklich die Macht haben oder vielmehr ausüben“, sagt Konstanze Lauterbach. Es geht um Angst und Unterwerfung – sie entwirft ein klaustrophobisches Sittengemälde, das sich hermetisch und surreal erhöht präsentiert, ein böses Märchen, das ohne Klischees auskommt und dennoch nur gut und böse kennt.

Jeanne d'Arc, Rotkäppchen, Rapunzel: Märchen – und andere mythologische Gestalten bevölkern mitunter das Klassenzimmer. Die Schauspieler, allen voran die Protagonistin Martina Eitner, spielen exaltiert, expressiv, exzessiv; ihre Bewegungen sind fast tänzerisch, mal gespreizt, verrenkt, oft im Kampf mit den Gegenständen der Umgebung als den Objekten der Tücke verheddert: das Telefon, die Handtasche, der Stuhl. Entnervt fingert die Untersuchungsrichterin nach Streichhölzern, kippt die Aktentasche aus, stopft alles wieder hinein und am Ende das Telefon dazu. Währenddessen steigert sich ihre Stimme in die Hysterie, Worte, die hektisch aus dem Munde quellen, ruckartig durch den Körper echoen.

Konstanze Lauterbach arbeitet seit fünf Jahren als Regisseurin – sie zählt die Arbeitsjahre seit der Zeit, da man sie frei arbeiten ließ. Die erste Gelegenheit ergab sich 1987 mit dem Stück „Carmen Kittel“ von Georg Seidel, das sie in Rudolstadt inszenierte: „Da konnte ich mir zum ersten Mal das Stück und die Schauspieler selber auswählen und in eine bestimmte Richtung probieren, ohne irgendeinen Abklatsch zu produzieren.“ Aber auch das hat sie früher getan: „Einmal mußte ich ,Die Mausefalle‘ von Agatha Christie machen, das war wie Spaghetti mit Marmelade in der Mixtur.“

Ganz früher wollte sie Schauspielerin werden, woraus nichts wurde, weshalb sie aus der Requisite zum Literaturstudium nach Leipzig wechselte. „In den fünf Jahren meines Studiums“, erzählt die Lauterbach, die ausgesprochen gerne in Leipzig lebt, „habe ich etwa zwei Drittel Inszenierungen an der Studentenbühne gemacht und ein Drittel studiert.“ Damit hätte sie sich freigeschwommen, sagt sie, geholfen habe ihr dabei niemand.

Zur Zeit probt sie in Leipzig, wo sie fest engagiert ist, Lorcas Frauenstück „Bernada Albas Haus“, im Sommer wird sie in Rudolstadt zum ersten Mal eine Oper inszenieren: Wagners „Schwarzschwanenreich“. Eine Kindsmörderinnengeschichte. Sabine Seifert