■ Die SPD und ihre Frauen
: Zwischen Fraufrau und Mannfrau

Das wird nicht die Stunde der Frauen. Der Spiegel spielt sein Lieblingsspiel, krönt Häupter und schlägt sie wieder ab. Er bläst ordentlich Luft in die Krisenkandidatinnen der SPD, um diese demnächst coram publico um so hörbarer wieder entweichen zu lassen. Daß „Frauen ungeheuer im Kommen sind“, ist längst die Parole von gestern, ihre Verkündung der erste Hinweis auf eine Fehleinschätzung des Ganzen. Herauskommen werden zwei Trostpflaster, während rundherum mit politischen Schlägen ins Kontor zu rechnen ist: eine erste Ministerpräsidentin, Heide Simonis, eine stellvertretende Parteivorsitzende, Heidemarie Wieczorek-Zeul, gegen eine aus dem Feld geschlagene Herta Däubler- Gmelin, eine zurückgetretene Heide Pfarr und eine noch längst nicht siegreiche bayrische Spitzenkandidatin Renate Schmidt – entzauberte Wunderfrauen und demontierte Hoffnungen.

Nicht, daß die männlichen Kandidaten für Parteivorsitz und Kanzleramt gut wären. Doch wenn schon bloße Leistung und Konkurrenz zählen, dann sind die Kandidatinnen leider auch nicht besser. Sie mögen es nicht einmal von sich selbst behaupten. Wo es um Überzeugungs-, Mobilisierungs- und Kampffähigkeit, Integration und politische Gestaltung in schwierigster Zeit geht – die Spitzenfunktionen füllen diese Frauen schwer aus.

Heide Simonis war immer eine Individualistin, die sich aufgrund von Intelligenz und fachlicher Qualifikation mit dem etablierten Politiksystem zu arrangieren vermochte und erfolgreich ihrer beruflichen Karriere nachging. Politisch besonders inspirierend ist sie dabei nie gewesen. Sie wird als effektive Technokratin und Managerin ihre zukünftige Aufgabe ausfüllen. Renate Schmidt hat Ausstrahlung, versteht die Leute anzustecken, verbürgt Tatkraft und Pragmatismus. Mit dem Strom der Zeit kommt sie gut klar. Ihr geht aber der politische Instinkt und die konzeptionelle Fähigkeit ab, Zeitgeist, wo nötig, auch zu widerstehen und zu wenden. Mittlerweile hat sie sich klug als Kanzlerkandidatin zurückgezogen. Heidemarie Wieczorek-Zeul hat politische Prinzipien als Fundament und in einigen Fragen dezidiert ausgewiesene Standpunkte, die sie auch gegen Mehrheiten vertrat. Aber dennoch bleibt sie zu sehr Fachpolitikerin und starre Funktionärin, als daß sie die Frau der Stunde sein könnte.

Alle drei wußten ihre Kompetenzen und ihren Fleiß durchaus mit dem Einsatz von Charme und Weiblichkeit zu vereinbaren. Davon sollte ihnen auch nicht abgeraten werden, obwohl Männer es auch ohne diese Anstrengungen schaffen. Doch wehe der, die die Tugenden der Gefälligkeit nicht aufbringen mag oder kann. Während der Psychopath Herbert Wehner bis dato als politisches Urgestein bejubelt wird, zählt man die – trotz ihrer gouvernanten und autoritären Art – fähigste Politikerin der SPD, Herta Däubler-Gmelin, aus. Eine offensive Heide Pfarr läßt man aus vollem Herzen stolpern.

Nicht besser und auch nicht schlechter als die Männer? Wenn es denn unter diesem Vorzeichen ein Aufbruch aus der zweiten in die erste Reihe hätte werden sollen, dann wäre – politisch ganz traditionell gedacht – doch wohl mindestens eine weibliche Seilschaft oder ein ausgemachtes Bündnis mit gegebenenfalls verteilten Rollen nötig gewesen. Auch hier übertreffen die Kandidatinnen nicht den herrschenden Jeder-gegen-jeden-Standard. Das gleiche gilt für das ausgebliebene politische Programm. Vor allem mit wohlklingenden Aussagen zu einem schöneren Prozedere und politischen Banalitäten ließen sich die Damen vernehmen. Ein paar Takte, mit welchen Alternativen Helmut Kohl entthront werden soll, hätte frau gerne gehört.

Hinsichtlich der Rolle ihres Geschlechts als Politikerin verwickelten sie sich nur in Widersprüche. Einerseits schreiben sie Frauen mehr Lebens- und Menschennähe, mehr Teamgeist, Einfühlsamkeit und eine andere Sprache zu. Heide Simonis will ausdrücklich nur wegen ihrer Leistung und nicht, weil sie Frau ist, gewählt werden. Käme ein Mann umgekehrt auf die Idee? Diese Art Persönlichkeitsspaltung scheint ihr noch gar nicht aufgefallen zu sein. Andererseits will keine als „Frauenfrau“ gesehen werden. Die traditionell weiblichen Tugenden werden als das einzige unterscheidende, bessere Merkmal hochgehalten, während frau sich hütet, mit der Kritik an deren gesellschaftlicher Minderwertigkeit und Einseitigkeit in Verbindung gebracht zu werden. Frau scheint der Abwertung und Eingrenzung entgehen zu wollen, indem sie sie wiederholt.

Die Kandidatinnen haben es unterlassen, aus der Frauenfrage ein anderes allgemeinpolitisches Programm zu machen. Das wäre eine weitere Möglichkeit eines neuen offensiven Akzentes gewesen. Nach diesem wären Frauen nicht besser, sondern (historisch) anders (geworden) und es an der Zeit, die hierarchische Geschlechterspaltung und mit ihr verbundene Gesellschaftsspaltung zu überwinden. Eine Geschlechtergleichstellungspolitik, Umverteilung und Teilung von privater und beruflicher Arbeit und Bezahlung, gleiche Chancen und Rechte für verschiedene Lebensvorstellungen, integrative Flüchtlings- und Sozialpolitik, zivile Weltinnenpolitik hätten nicht zuletzt Momente einer Antwort auf die Krise der SPD sein können.

Die Karrierefrauen wollen keine Quotenfrauen sein. Sie haben stets Distanz zur Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen (AsF) gehalten. Auch mit der Frauenbewegung wollten sie nicht unbedingt identifiziert werden, allemal nicht mit Feminismus. Dem Normalmaß ihres Geschlechts wollten sie Recht geschehen lassen, selbst aber nicht mit ihm verwechselt werden. Sie waren besser als der Rest ihrer Schwestern, so gut wie eben die Männer. Das alles hinderte sie nicht an einem opportunistischen Verhältnis zur Frauenbewegung.

Den Frauen ist kein Vorwurf daraus zu machen, das Freiheitsverlangen als Frau nicht als einen Hauptimpuls ihres Lebens und ihrer Politik zu verspüren, wenngleich dies intellektuelle Verarbeitung noch nicht ausschlösse. Problematisch wird all das, wenn frau sich einerseits von der Frauenbewegung hochtragen läßt, andererseits aber dennoch glaubt, sie nicht nötig zu haben und auf sie pfeifen zu können. Die Abgrenzungen zum Feind- und Schreckbild der „grämlichen, verbissenen Feministinnen“ schaden nicht nur der Frauenbewegung, sondern auch den Kandidatinnen selbst. Das aber scheinen sie noch nicht kapiert zu haben.

Keine der Kandidatinnen hat im übrigen ein, geschweige denn frühes Gespür für die tiefe Krise, in der sich die SPD befindet, und den Hauch einer Antwort darauf gehabt. Das ist angesichts ihrer politischen Profile kaum zufällig.

Warum sollten sie unter diesen Voraussetzungen ausgerechnet an der Spitze gegen die Männer durchkommen? So hat das Parteipatriarchat es leicht, zu tun, wonach ihm allemal ist: die Frauen von der Macht fernzuhalten, allenfalls paternalistisch zu dulden oder zu fördern, sie abzuwerten und als Notstopfen zu mißbrauchen. Da es an frischer und beweglicher Frauenbewegung mangelt, kann diese den Kandidatinnen nicht mal beispringen. Die Flagge wird von den berufsmäßig Zuständigen, wie es der Anstand und die allgemeine Grundüberzeugung gebietet, hochgehalten. So kann es nicht werden. Mechtild Jansen

Journalistin in Bonn