A-Bomben-Sperrvertrag gefährdet

■ Eventuell erklärt US-Präsident Bill Clinton schon heute die Wiederaufnahme von Atombombentests ab Oktober

Genf (taz) – Die USA stehen kurz vor der offiziellen Entscheidung über eine Wiederaufnahme von Atombombentests. Möglicherweise noch heute wird Präsident Bill Clinton in einem Bericht an den US-Kongreß ankündigen, daß ab dem 1. Oktober wieder Testwaffen gezündet werden. Frankreich, Rußland und Großbritannien haben in den vergangenen Wochen deutlich gemacht, daß sie ihre ebenfalls seit Herbst 1992 unterbrochen Tests dann auch wieder aufnehmen. Zugleich loten Diplomaten der USA bei der Genfer UNO-Abrüstungskonferenz derzeit die Haltung nicht nur der anderen vier erklärten Atommächte, sondern auch von Schwellenländern wie Indien zur Vereinbarung einer 1-Kilotonnen-Obergrenze für Atomtests aus.

Schon bei der am Wochenende in New York zu Ende gegangenen ersten Vorbereitungstagung für die Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag (NPT) im Jahre 1995 zeichnete sich ab, daß eine solche Strategie die anstehende Verlängerung dieses Abkommens gefährden würde. Viele blockfreie Staaten des Südens wie Indonesien, Nigeria, Mexiko und Ägypten haben angekündigt, daß sie konkrete und verbindliche Verpflichtungen der fünf Atomwaffenstaaten zu einem umfassenden Teststopp und einen Zeitplan für die vollständige Abrüstung der atomaren Arsenale zur Voraussetzung für ihre Zustimmung zur Vertragsverlängerung machen wollen.

Im September 92 hatte der US- Kongreß ein bis zum 1. Juli dieses Jahres befristetes Testmoratorium verfügt. Zugleich begrenzte er die Zahl weiterer Tests für den Zeitraum bis 1996 auf 15 und forderte den Präsidenten zur Vorlage eines Berichts über die künftige US-Politik hin zu einem vollständigen Teststopp auf. Das Datum für den Wiederbeginn der maximal 15 Tests machte der Kongreß vom Termin der Vorlage dieses Berichts abhängig; heute ist der Stichtag für eine Wiederaufnahme der Tests ab dem 1. Oktober. Legt Clinton seinen Bericht erst später vor, darf erst ab 1. Januar 94 wieder gestestet werden.

Nach dem Pentagon, dem für die Entwicklung für Atomwaffen zuständigen Energieministerium sowie den Oberbefehlshabern der Teilstreitkräfte hatte sich letzte Woche auch das State Department für neue Versuche ausgesprochen. In Washington galt es gestern als sicher, daß Clinton diesen Empfehlungen folgen wird. Als einzige Instanz innerhalb der Administration warnte lediglich die Washingtoner Rüstungskontroll-und Abrüstungsbehörde (ACDA) vor den Folgen: auch Rußland, Frankreich und Großbritannien würden dann wieder A-Bomben testen. Eine solche Entwicklung wiederum würde die Bemühungen, Staaten wie Nordkorea und Iran von einer eigenen Atombewaffnung abzuhalten, noch weiter erschweren. Russische Diplomaten in Genf erklärten letzte Woche, bei einer Wiederaufnahme der US-Tests werde der unter dem Druck der Militärführung stehende Präsident Boris Jelzin ebenfalls die Durchführung neuer Tests verfügen. In Paris unterrichteten Vertreter des Verteidigungsministeriums und der Atomenergiebehörde den Verteidigungsausschuß des Parlaments am 27. April über entsprechende Absichten. Großbritannien, das seine Tests in den USA durchführt, hat bereits einen Sprengsatz im Testgelände in Nevada vorbereitet.

Im Präsidentschaftswahlkampf hatte sich Clinton noch für ein umfassendes Atomteststopp-Abkommen ausgesprochen. Pentagon, Energieministerium und einige Kongreßmitglieder versuchen Clinton derzeit von einem neuen Ansatz zu überzeugen: unter Beibehaltung des Begriffes „umfassender Teststopp“ solle für die Zeit nach 1996 tatsächlich lediglich eine Begrenzung der Sprengstärke atomarer Tests auf eine Kilotonne (= 1.000 Tonnen) vereinbart werden. Die derzeit gültige, 1974 von den USA und der UdSSR in Genf vereinbarte Obergrenze liegt bei 150 Kilotonnen. Eine Obergrenze von einer Kilotonne würde Tests mit „Mikro“-Atomwaffen, die zur Zeit in den USA entwickelt werden, nicht behindern. Die Befürworter einer solchen Strategie behaupten, Tests unterhalb der 1-Kilotonnen-Grenze ließen sich ohnehin nicht verifizieren.

Bei ihren informellen Genfer Konsultationen mit Vertretern Rußlands, Frankreichs, Großbritanniens aber auch Indiens über einen derartigen Ansatz stießen US- Diplomaten zunächst auf positive Reaktionen. Andreas Zumach