Dänisches Votum: Signal für Resteuropa

Nach dem „Nein“ von 92 soll heute in Dänemark im zweiten Anlauf über die Europäische Union entschieden werden. Eine erneute Absage der Dänen an „die Union der Völker Europas“ dürfte das Aus für die Maastrichter Verträge bedeuten.

Zum zweiten mal innerhalb eines Jahres sind die Däninnen und Dänen aufgerufen, über die Maastrichter Verträge für eine Europäische Union abzustimmen. 50,7 Prozent der knapp vier Millionen Wahlberechtigten hatten im Juni 92 dem Vertragswerk eine Abfuhr erteilt, für die heutige Neuauflage lag in den Meinungsumfragen der letzten Woche die Zahl der Maastricht-Befürworter stets über der der Nein-Sager. Demnach sind zwischen 46 und 49 Prozent der Dänen für eine Europäische Union, 30 bis 34 dagegegen. Fünf Prozent wollen gar nicht erst zur Abstimmung gehen, die Entscheidung dürfte also in der Hand jener rund 15 Prozent Unentschlossenen liegen, die nach Einschätzung von Meinungsforschern eher zu einem nochmaligen „Nein“ tendieren.

Und die Nein-Sager bekommen Argumente frei Haus: Ausgerechnet eine Woche vor der Volksabstimmung trampelte zu ihrer Freude der deutsche Vize-Präsident der EG-Kommission wie ein Elefant im dänischen Porzellanladen herum. Der eigentliche Endpunkt der Europäischen Union, so Martin Bangemann, sei ein föderativer Bundesstaat nach deutschem Vorbild. Ein Schreckgespenst für all jene Dänen, die keine überzeugten Maastricht-Anhänger sind und mit einigem Recht befürchten, die Souveränität ihres kleinen Landes in einem Superstaat verschwinden zu sehen. „Einfühlungsvermögen“, so kommentierte tags darauf die Kopenhagener Berlingske Tidende, „war ja noch nie etwas, das Deutschland erfolgreich exportiert hat.“

Nach den Erfahrungen des vergangenen Jahres, als Kommissionschef Jacques Delors sich einmischte und der Nein-Seite mit 20.000 Stimmen Vorsprung zu einem Sieg verhalf, war in Brüssel ein absolutes Kommentierungsverbot verhängt worden. Dänemarks EG-Kommissar Henning Christophersen, der im Juni 1992 200.000 zusätzliche Arbeitslose als Konsequenz eines „Nein“ vorhergesagt hatte, verschwand diesmal ganz in der Versenkung und machte einen Bogen um jedes Mikrophon, um nicht wieder in Versuchung zu geraten.

Doch der EG-Maulkorb hielt nicht. So machte etwa Belgiens Premier Jean-Luc Dehaenne klar, daß es, wenn Belgien im Juli 1993 den EG-Vorsitz übernehmen werde, aus sein werde mit solchen dänischen Kinkerlitzchen wie den öffentlichen Ministertreffen in Brüssel. Auch Jacques Delors' „Strategie für die Gemeinschaftserweiterung“ – die schon vor der letztjährigen Volksabstimmung in Dänemark herumgeisterte – war wieder in aller Munde. Der Plan, den es angeblich nicht gibt, der aber in Brüssel regelmäßig diskutiert wird, will die Einflußmöglichkeiten der kleinen Mitgliedsländer begrenzen – „bündeln“, weil eine EG mit 15 bis 20 Mitgliedsländern angesichts der heutigen Institutionen angeblich nicht arbeitsfähig sei.

Wenn dann noch, inmitten all dieser auf einen europäischen Superstaat abzielenden Bemerkungen, der dänische Außenminister Niels Helveg Petersen als Vorsitzender des EG-Ministerrats US- Pläne zur Bombardierung serbischer Stellungen in Bosnien unterstützt, dann ist dies genau das, was eine auf Eigenständigkeit bedachte, überdurchschnittlich pazifistisch eingestellte dänische Bevölkerung besonders stört.

Seitdem hat sich Dänemark über die Vereinbarungen von Edinburgh zwar eine Reihe von Ausnahmeregelungen sichern können (s. Beitrag unten), auf die Meinung der Wählerinnen und Wähler hat das jedoch nur geringen Einfluß gehabt. Wer mit „Ja“ stimmt, tut dies nicht, weil Dänemark Ausnahmen bei der EG- Staatsbürgerschaft, bei der gemeinsamen Außenpolitik und der EG-Polizei zugestanden wurden, sondern aus einem Gefühl heraus, man müsse irgendwie dazugehören. Die Stimmungslage ist folglich in etwa identisch mit der vom Juni 1992 – so als ob es die Änderungen von Edinburgh gar nicht gegeben hätte.

Wenn es unterm Strich bis zuletzt positiv für die Ja-Seite aussah, hat das ganz entscheidend mit dem Regierungswechsel von der Mitte- Rechts-Regierung von Poul Schlüter hin zum sozialdemokratisch geführten Kabinett unter Poul Nyrup Rasmussen zu tun. Die Hälfte – statt damals ein Drittel – der sozialdemokratisch ausgerichteten Wähler scheint ihrer Regierung auf dem europäischen Weg folgen zu wollen, wenn auch ohne rechte Begeisterung. Der Schwenk der anderen linken Partei, der Sozialistischen Volkspartei, von der Nein- zur Ja-Seite, wird dagegen das heutige Abstimmungsergebnis nur unwesentlich beeinflussen; denn 86 Prozent der Wähler dieser Partei wollen dem Umkippen ihrer Parteiführung nicht folgen.

Mit Drohungen für den Fall einer Nein-Mehrheit in der Art seines Vorgängers Schlüter hat sich Ministerpräsident Rasmussen bislang zurückgehalten. Statt dessen lancierte seine Regierung gleich einen ganz offenkundigen Bestechungsversuch: Die Dänen sollen Steuererleichterungen und ein umfassendes Arbeitsbeschaffungsprogramm erhalten. Die Beratungen darüber im Kopenhagener Parlament sind für den 19. Mai angesetzt – also am Tag nach dem Referendum. Und Rasmussen will es auch gar nicht leugnen: Nur nach einem „Ja“ werde Dänemark die geplanten Maßnahmen verkraften und finanzieren können. Der genaue Inhalt der Regierungsvorlage wird erst nach dem Ende der Auszählung, in der Nacht vor der Parlamentssitzung, festgelegt.

Aufregung darüber gibt es in der Öffentlichkeit kaum. Auch die Berichterstattung in den Medien ist derart einseitig, daß die größte „Nein-Bewegung“ des Landes, die „Juni-Bewegung“, die arg belastete Bezeichnung „Gleichschaltung“ dafür wählte. „Wir stimmen am 18. Mai darüber ab, ob wir denen, die sich so aufführen, noch größere Macht geben sollen. Die dänische Demokratie steht auf dem Spiel.“ Reinhard Wolff, Kopenhagen