Deutsch-türkische Erziehung steht in Frage

■ Der Schulversuch zur zweisprachigen Alphabetisierung läuft im Sommer aus

Berlin. Türkische Kinder, die zweisprachig alphabetisiert wurden, haben deutlich bessere Chancen in ihrer weiteren Schullaufbahn. Während von Kindern, die in Ausländerregelklassen oder in rein deutschsprachigen Klassen unterrichtet wurden, etwa 30 Prozent keinen Schulabschluß erreichen, liegt dieser Anteil bei den zweisprachig alphabetisierten nur bei fünf Prozent. Auch auf die Fähigkeit, Zusammenhänge erkennen und darstellen zu können sowie Begriffe zu bilden, wirkt es sich positiv aus, wenn türkische Kinder auch in ihrer Muttersprache Lesen und Schreiben lernen. Bei den deutschen Kindern der Klassen wurde ein deutlich besseres Sprachempfinden festgestellt.

Diese Resultate erzielte die wissenschaftliche Begleitung des Schulversuchs zur zweisprachigen deutsch-türkischen Erziehung, der in diesem Schuljahr ausläuft. 73 Klassen an 17 Schulen aus fünf Bezirken beteiligten sich daran. Die türkischen Kinder erhalten zusätzlich fünf Stunden Türkisch-Unterricht in der Woche. In Kooperationsstunden, die von einem deutschen und einem türkischen Lehrer bestritten werden, werden beide Sprachen gesprochen.

„Am wichtigsten ist uns, daß sich das soziale Klima in den Klassen wesentlich verbesserte“, sagt Monika Nehr, wissenschaftliche Leiterin des Versuchs. Die türkischen Kinder gewännen an Selbstbewußtsein. Sie würden von den deutschen Kindern respektiert, seit diese die türkische Sprache als gleichberechtigt erlebten. „Zweisprachige Erziehung ist interkuturelle Erziehung“, betont ihre Mitarbeiterin Ulrike Harnisch.

Auf einer von der bildungspolitischen Sprecherin des Bündnis 90/ Grüne, Sybille Volkholz, beantragten Sondersitzung des Schulausschusses soll heute über die Zukunft des Versuchs diskutiert werden. Der von der Schulverwaltung als Diskussionsgrundlage erstellte Bericht gibt Grund zur Beunruhigung. Die Berichte der zehnjährigen wissenschaftlichen Begleiter werden verkürzt dargestellt. Statt dessen zitiert man den Passauer Linguisten Sascha Felix, der sechs Monate lang als Außengutachter tätig war und keinen eindeutig besseren Schulerfolg der zweisprachig alphabetisierten Kinder feststellen konnte. Das Papier verschweigt, daß Felix selbst im Vorwort darauf verweist, daß er sich nur auf Rechtschreibung und Grammatik beziehen könne, was wenig über die Sprachkompetenz als solche aussage. Einige Lehrer, so der Bericht, hätten sich wohl in den Versuch geflüchtet, „weil sie meinten, bei dieser Art des Unterrichts schlampiger verfahren zu dürfen“.

Den Schulversuch in dieser Weise in Frage zu stellen, habe eine außerordentlich diskriminierende Wirkung, urteilt Volkholz. „Es geht um die Frage, inwieweit die Berliner Schule den Bedürfnissen der großen Zahl ausländischer Kinder gerecht wird.“ Die Schulverwaltung diffamiere bewußt die Ziele der zweisprachigen Erziehung, kritisiert auch GEW-Landesvorsitzender Erhard Laube. „Wir fordern, daß die vorgelegte Auswertung des Schulversuchs zurückgezogen und für gegenstandslos erklärt und daß die zweisprachige Erziehung ohne Einschränkung fortgesetzt wird.“ Die Schulverwaltung verwahrte sich gegen diese Vorwürfe. Sprecherin Sabine Puhtz betonte, der deutsch-türkische Unterricht werde im Sommer „definitiv nicht“ eingestellt. Corinna Raupach