Erinnern an Gesichter

■ Bilder des polnischen Malers Franciszek Adamik

Zur Eröffnung der Ausstellung sprach ein betroffener Bürgermeister vom unerträglichen Zusammenfallen zweier Ereignisse. Daß ausgerechnet an diesem Sonntag die niedersächsische NPD in seiner Stadt tagte, „in unserer Stadt auf geheimste Weise einen Parteitag abhält, von dem wir nur durch Zufall erfahren haben“, wollte dem ahnungslosen Stadtoberhaupt nicht in den Kopf. Aus dem Kopfschütteln wurde ein Appell an die Bürgerpflicht zur Gegenwehr, das Wort „Kampf“ wurde gebraucht, und schon ging es weiter zum Kampf des Künstlers, dessen Bilder noch bis zum 25. Mai im neonazistisch heimgesuchten Georgsmarienhütte zu sehen sind. Wit Jaworski, Krakauer Verleger und Lyriker, der in die Ausstellung des polnischen Malers Franciszek Adamik einführte, sprach etwas später vom „künstlichen Erstaunen“ in Deutschland; in Polen wunderte man sich weniger.

„Wunden der Erinnerung“ hat Franciszek Adamik seine Bilder überschrieben. So programmatisch darf er sein, weil die Kunstkritik, die ihn bisher nur selten wahrgenommen hat, sein Werk als „Volkskunst“ interpretiert. Weil seine Malerei nicht akademisch ist, kann er die Diskussion, ob ein Bild mehr sein darf als ein Bild, getrost an sich vorüberziehen lassen. Das hilft auch dem Publikum, dem Adamik ein „Tagebuch“ vorführen will, „erfüllt von den schrecklichsten Erfahrungen“. Zu sehen sind gemalte Erinnerungen an die Konzentrationslager Groß-Rosen, Nordhausen und das Lager Dora, Deportationen, brennende Synagogen, Bilder aus dem jüdischen Leben kurz vor und während des Holocaust, gemalt in pseudorealistischer Manier. Manche zeigen eindeutige Symbole, besonders wenn es um die Phänomenologie des Totalitarismus geht: Stalin im Bärenfell, Hitler mit der Sense im Arm; die meisten sind großformatig.

Franciszek Adamik wurde 1920 in einem kleinen Dorf in Polen geboren. Er wuchs auf in einer Bauersfamilie, wollte erst Schnitzer werden, entschied sich dann aber für eine Schneiderlehre. Er wurde als Zwangsarbeiter nach Deutschland verschleppt, konnte fliehen, ging in den Untergrund, organisierte geheime Transporte nach Ungarn und war an der Vorbereitung der Flucht von Juden aus dem Krakauer Ghetto beteiligt. Im Januar 1945 wurde er von der Gestapo verhaftet, erlebte Groß-Rosen, Nordhausen und Dora bis zur Befreiung durch die Alliierten. Im Konzentrationslager zwang man Adamik, als Heizer an Leichenverbrennungen teilzunehmen. Zwanzig Jahre später begann er mit der Malerei, malte mit dickflüssigen Rowney-Farben die ersten Bilder aus der „Ofenepoche“. Sein wichtigstes Mittel: Bedrohung und Schrecken werden personifiziert; Täter und Opfer bekommen ein Gesicht. Adamik selbst glaubt, so sein Biograph Wit Jaworski, „daß die Zeit für diese Form der Darstellung noch nicht reif sei“. Bisher gab es nur wenige Ausstellungen mit Werken Adamiks in Polen und Deutschland. Die meisten seiner Bilder befinden sich in Privatsammlungen. Christine Schrenk

„Wunden der Erinnerung – Die Malerei von Franciszek Adamik“. Museum Villa Stahmer, Georgsmarienhütte, bis 25. Mai 1993. Die Ausstellung ist Teil einer Veranstaltungsreihe zum Aufstand im Warschauer Ghetto, organisiert vom Arbeitskreis Kulturmanagement am Form Artium GM-Hütte.