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■ Steinkühler: Wozu die Aufregung?Monopoly mit Echtgeld

Unterstellen wir mal, wovon alle sowieso überzeugt sind: Franz Steinkühler hat schon am 1. und nicht erst am 2.April von der Aktien-Tauschaktion gewußt und aus diesem Wissen Kapital geschlagen. Hat er sich deshalb als Gewerkschafter diskreditiert? Oder hat er sich nicht ganz im Gegenteil durch die – wäre sie geheim geblieben – erfolgreiche Spekulation als äußerst qualifiziert gezeigt für den Job eines „Arbeiter“-Interessenvertreters gegenüber „dem Kapital“?

Nach geltenden Gesetzen ist Steinkühlers Verfehlung keine Straftat, sondern ein Kavaliersdelikt. Verletzt wurden die Spielregeln an der Börse, und geschadet hat der IG-Metall-Vorsitzende damit, daß er einen satten Spekulationsgewinn eingestrichen hat, keinem einzigen Arbeitnehmer. In die Röhre gucken allenfalls die Mitspieler, die mit ähnlich hohen Beträgen jonglieren können und an jenem 1.April die Chance verpaßt haben, auf Mercedes-Holding-Aktien zu setzen. Die Verkaufszahlen von Produkten der Mercedes-Benz AG, in denen der Mehrwert aus der Arbeit der Beschäftigten steckt, ändern sich durch die erfolgreiche Spekulation mit den Aktien des Unternehmens nicht und damit auch nicht die Zahl der Arbeitsplätze bei Mercedes oder Daimler.

Die gewerkschaftsinterne Aufregung richtet sich denn in Wirklichkeit auch nicht gegen den Regelverstoß im großen Monopoly mit Echtgeld, sondern gegen die Tatsache, daß ein Gewerkschafter auf dieser Ebene mitspielen konnte. Bezeichnenderweise reagieren die mittleren Gewerkschaftsfunktionäre und die – überwiegend der Mittelschicht entstammenden – Journalisten ebenso heftig auf den Fall Steinkühler wie die streikenden Metallarbeiter. Die neidvolle Frage „Woher hat der überhaupt die Million?“ interessiert sie dabei viel mehr als die nach einem möglichen Schaden durch das Delikt.

Zu dieser öffentlichen Prioritätensetzung hat Steinkühler selbstverständlich kräftig beigetragen. Kaum ein Gewerkschafter führt heute noch soviel Klassenkampf-Lyrik im Munde wie „der Franz“. Erstaunlich nur, daß das geneigte Publikum ihm zwar zuhörte, dabei aber völlig blind blieb: für die Maßanzüge, in denen der IG-Metall-Chef vor die Streikenden zu treten pflegt und die großen Autos, in denen er vor laufenden Kameras an- und abfährt. Zwischen Reden und Lebensstil lagen bei Steinkühler ganz offensichtlich Welten und niemand hat's gemerkt.

Vollends absurd aber reagiert die Gewerkschafts- Funktionärsbasis, wenn sie ihrem Vorsitzenden eben jenen Reichtum vorwirft, mit dem sie selbst ihn per Gehalt über die Jahre ausgestattet hat. Die gar nicht falsche Idee dabei war ja, den Vertreter der Arbeiter gegenüber den geschniegelten Unternehmern salonfähig und damit potentiell erfolgreich zu machen. Steinkühler verköperte als Tarifunterhändler geradezu die Richtigkeit dieses Kalküls.

Einen Grund, sich über den IGM-Chef zu entrüsten, haben also weniger „die Arbeiter“, als vielmehr „die Kapitalisten“ – schließlich wurden ihre Regeln verletzt. Den Image-Schaden muß die Börse tragen, die – wie nach jedem Insider-Skandal – mal wieder als Spielhalle für Großzocker dasteht anstatt als seriöse Kapitalbeschafferin für die Industrie. Nur: Angesichts der Tatsache, daß es ein Gewerkschafter war, der die Regel verletzte, wird dieser Schaden nicht systemerschütternd ausfallen.

Die Kapitalseite nimmt den Fall Steinkühler schlimmstenfalls als Bestätigung dafür, daß Gewerkschafter, so sie als Unternehmer oder Spekulanten auftreten, eh die schlimmeren Kapitalisten sind (siehe coop, Neue Heimat etc.). Aber weil die Informationen an den Stern vermutlich aus der (früher gewerkschaftseigenen) BfG-Bank stammen, die das Bankgeheimnis brach, wird wohl das Mitleid mit dem geschätzten Tarifpartner in diesen Kreisen überwiegen.

Und die Moral? Reihenweise stürzen Politiker hierzulande über Skandale und Skandälchen: Ist Steinkühler also dran, auch wenn er – anders als die gestürzten Politiker, sich nicht aus öffentlichen Kassen persönlich bereicherte? Die Entscheidung darüber soll die IG-Metall getrost alleine fällen. Ihr Vorsitzender ist schließlich nicht, wie das Regierungspersonal, Vertreter der Allgemeinheit (des Volkes), sondern der Gewerkschaften. Aus letzteren kann austreten, wem das Führungspersonal nicht gefällt. Donata Riedel

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