Recht auf Faulheit läßt der Hektik keine Chance

■ Arbeitszeitverkürzungen haben kein Mehr an freier Zeit gebracht, denn unsere Freizeit ist genauso durchorganisiert wie der Job

ist genauso durchorganisiert wie der Job

Von einer 35-Stunden-Woche haben unsere Vorfahren mit ihren etwa 70 oder 80 Wochenarbeits-

stunden nur träumen können. Trotzdem – mehr freie Zeit haben wir durch Arbeitszeitverkürzungen offenbar nicht bekommen. Ohne Timer läuft schon lange nichts mehr – weder im Job noch nach Feierabend. Denn die eingesparten Stunden werden gefüllt mit Sport, Spiel oder Kultur. Die Angebote sind so reichhaltig wie niemals zuvor. Da reicht ein Leben alleine nicht aus, um sich alle geweckten Wünsche erfüllen zu können. „Nur nichts verpassen“, heißt das Lebensmotto einer ganzen Generation: Freizeitstreß ist für uns schon lange kein Fremdwort mehr. Dazu kommt in der Großstadt die allgegenwärtige Reizüberflutung durch Lärm und Hektik. Selbst der Urlaub steht unter Terminzwang. Erst muß mit den KollegInnen abgesprochen werden, wer wann fahren darf. Und dann muß das anvisierte Domizil zur passenden Zeit frei sein und der Pensionsplatz für Hund oder Katze rechtzeitig gesichert werden. In der Regel läuft die Ferienplanung ein Jahr vorher, damit ja nichts schief gehen kann. Wer schließlich am Ferienort ankommt – vorzugsweise, nachdem er etliche Stunden in Staus zugebracht hat –, ist für eine richtige Erholung viel zu erschöpft und spätestens eine Woche nach der Rückreise so urlaubsreif wie zuvor.

Was also tun, um einfach mal wieder richtig aufzutanken?

Ein Blick auf diverse Anzeigenseiten verspricht schnell Abhilfe. Parallel mit den steigenden Belastungen im Alltag hat in den letzten Jahren eine ganze Branche geboomt, die mit Pflegeangeboten für Körper, Geist und Seele so manche Mark macht. Alle Kurse, die Möglichkeiten zum körperlichen Abreagieren, wie Jazz-Dance und Afrotanz oder Entspannungsübungen

1wie Yoga und Schattenboxen anbieten, sind bei Streßgeplagten sehr gefragt. Da spielen Preise von 150 Mark an aufwärts dann auch keine besondere Rolle mehr.

Unbestritten, Massagen sind eine Wohltat für Körper und Seele. Doch in einfacher Ausführung gibt es sie kaum noch. Jede(r) Masseur(in) steht für eine besondere Therapieform. Das reicht von der klassischen schwedischen Lymphdrainage oder einer Bindegewebsmassage bis zu den fernöstlichen Spezialitäten wie Shiatzu oder Reiki.

Inzwischen kann auf Streß auch prophylaktisch reagiert werden. Wer im voraus weiß, der nächste Tag wird anstrengend, heizt vor dem Einschlafen sein Aromalämp-

1chen an – einige Tropfen Lavendel oder Melisse und die Gelassenheit ist angeblich durch nichts mehr zu erschüttern. Um ganz sicher zu gehen, wird per Zeitschaltuhr eine Stunde vorm Aufwachen der CD- Player mit Meditationsmusik in Schwung gebracht. Eingeweihte schwören hier auf die anhaltende Tiefenwirkung. Doch all diese Möglichkeiten haben einen Haken: Sie bedeuten wieder lange Planung, Terminfindung und Kosten.

Einfacher, preiswerter und ohne einen zusätzlichen Eintrag im Kalender geht es mit einem Rezept von Herrn Ringelnatz. Gebraucht wird eine Wiese, eine Wolke und eine Mundharmonika:

1Zupf dir ein Wölkchen aus dem Wolkenweiß,

Das durch den sonnigen Himmel schreitet.

Und schmücke den Hut, der dich begleitet,

Mit einem grünen Reis.

Versteck dich faul in der Fülle der Gräser.

Weil's wohltut, weil's frommt.

Und bist du ein Mundharmonikabläser

Und hast eine bei dir, dann spiel, was dir kommt.

Und laß deine Melodien lenken

Von dem freigegebenen Wolkengezupf.

Vergiß dich. Es soll dein Denken

Nicht weiter reichen, als ein Grashüpferhupf. tom