„Die mit dem Gedicht“

■ Heute liest Cemile Tamboga aus ihren Gedichten / Eine „De Colores“-Veranstaltung

„Ein Fremder hat mich spät abends auf der Straße angesprochen: 'Sag mal, du bist doch die mit dem Gedicht.' Erst hab' ich mich verleugnet, er ließ sich aber nicht beirren und hat mir dann mein Gedicht auswendig aufgesagt.“ Für 'das Gedicht' ist Cemile Tamboga vor zwei Jahren mit einem Bremer Lyrikpreis ausgezeichnet worden. Sie erzählt darin von zwei Kulturen, zwei Menschen, zwei Leben, zwei Seelen in ihrer Brust, fragt nach dem Sinn dieser Zerissenheit.

Cemile Tamboga ist in der Türkei geboren und lebt seit ihrem zweiten Lebensjahr in Deutschland. Heute abend wird sie ihre Gedichte vorstellen und als fünfte nichtdeutsche Autorin eine Lesereihe der autonomen Immigrantinnengruppe „De Colores“ abschließen.

„Ich bin Türkin und ich habe sehr viel deutsches Gedankengut“, sagt die selbstbewußte Frau, die vor ein paar Tagen 24 Jahre alt geworden ist. Sie hatte lange damit zu kämpfen. Heute glaubt sie, beides auf ihre Art miteinander verbinden zu können: Cemile Tamboga lebt allein in Bremen, studiert Psychologie und fährt jeden Sommer in die Türkei, um Verwandte ihrer Familie zu besuchen. „Eine türkische Schriftstellerin hat einmal geschrieben: Mit türkischen Frauen zusammensein ist wie ein türkisches Bad nehmen — ich füge mich ein und genieße das.“ In der Türkei merken aber trotzdem alle, daß sie aus Deutschland kommt, weil sie Türkisch mit deutschem Akzent spricht.

hierhin bitte

die dunkelhaarige

Frau

Cemile Tamboga

Schon lange hat sich Cemile Tamboga vorgenommen, das Schöne in der türkischen Sprache herauszufinden, denn bislang hat sie nur auf deutsch geschrieben. Zuerst Tagebuch, dann Gedichte, in der Schule ein kleines Theaterstück und nun auch längere lyrische Texte. „Ich verliebe mich immer mehr in diesen Arbeitsprozeß“, schwärmt sie, „erst sprudelt es aus mir, dann feile ich daran.“ Was manchmal sehr schnell gehen kann; für den Lyrikwettbewerb hat die Dichterin nur eine halbe Stunde am letzten Abgabetag gearbeitet. „Ich habe geschrieen, gelacht, geweint und getobt, als ich erfuhr, daß ich gewonnen habe!“

Gefühle sind ihr großes Thema, gern schreibt Cemile Tamboga über Träume oder das Glück, das sie auch überfallen kann, wenn sie morgens mit dem Fahrrad in die Uni fährt. „Kinder, schöne Plätze, gute Fotos inspirieren mich, oder ich versetze mich mit ruhiger klassischer Klaviermusik in Schreibstimmung.“

Wenn sie provoziert wird, reagiert sie nüchtern und hart — vor allem, wenn sie Ausländerfeindlichkeit zu spüren bekommt. Dann kontert sie damit, daß sie gelernt hat, sich zu artikulieren. „Ich weiß, es ist ein Phänomen, aber das ist mir bislang äußerst selten passiert. Und obwohl ich dieses Wort hasse, liegt es glaube ich daran, daß ich mich hier angepaßt habe.“ Silvia Plahl

20 Uhr, Ortsamt Mitte, Am Dobben 91