Auf dem Strich

■ Ein historischer Strichspaziergang durch das alte Scheunenviertel

Kurt Tucholsky nannte sie „die Damen der öffentlichen Hand“. Sympathisch also, daß der Verein Nutten & Nüttchen ausgerechnet im Zosch an der Tucholskystraße seinen Sitz hat, finden Laura und Maxi, die uns hier zu einem zweistündigen Strichspaziergang durch das Scheunenviertel abholen. Wir, das sind etwas mehr als eine Handvoll Frauen und ein älterer Herr mit gestutztem Bart, der sich „der Hurenbewegung nahe“ fühlt, wie er den Veranstalterinnen erzählt. Nicht zu vergessen – das notorisch hektische Kamerateam von einem Privatsender, das uns gnadenlos rumkommandiert: „Könnte die Gruppe jetzt einmal ganz komprimiert aus der Mulackritze heraustreten?“

Aber wir kommen trotzdem auf unsere Kosten. Laura und Maxi erzählen Historisches und Aktuelles aus dem Berlin der Huren, informieren ganz nebenbei über das Anliegen ihrer Organisation und schmücken das Ganze mit kleinen illustren Geschichten aus, wie sie – nur etwas weniger anrüchig – auch auf der Rückseite von Abreißkalendern stehen könnten.

Wußten Sie, daß in den zwanziger Jahren vor dem Tacheles die Strichjungen standen und gegenüber beim „Obst & Gemüse“ die Mädels? Beide Gruppen waren streng durch eine unsichtbare Linie, den Strich, getrennt. Oder wußten Sie, daß ein gewisser Herr von M. nicht unweit der Oranienburger Straße zur selben Zeit ein Etablissement gegründet hat, in dem Frauen, deren Männer in den Untergrund abtauchen mußten, sich zum Trost mit Strichjungen vergnügen konnten? Und daß sich seinerzeit in der Auguststraße 16 ein ehemaliges Rehabilitierungscenter sogenannter „HWG-Personen“ befand? Statt Ausstieg ins Nichts der guten Moral fordert „Nutten & Nüttchen“ den Aufstieg von Huren, zum Beispiel in die Aufklärungsarbeit. Vorschlag von Maxi und Laura: Erfahrene Nutten könnten in Bumsbombern nach Thailand die reisenden Männer darüber aufklären „wie man ein Gummi überstreift“ und „Frauen als Frauen behandelt“. Im Gegenzug dazu die Alternative für Zuhälter: eine Bäckerlehre. Dort könnten sie lernen, „kleine Brötchen zu backen“, derweil die Nacht durchmachen, „und am nächsten Morgen finden sie frische Ware vor“.

Das Schicksal einer Straßenhure aus den zwanziger Jahren war alles andere als kurzweilig. Die Damen mußten, wenn sie auf die dreißig zugingen, in die dunkleren Quartiere, beispielsweise die Mulackstraße, ausweichen. Dort waren die Absteigen billiger. Was blieb ihnen übrig, als den sinkenden Verdienst durch „die Masse Mann“ auszugleichen?

Der Strichspaziergang bietet lehrreiche Lektionen: Im Fachjargon der zwanziger Jahre bedeutete „Nutte“ nichts anderes als „halbwüchsige Dirne, die heimlich anschaffen geht“, und „Trebegängerinnen“ waren demnach „blutjunge Vagantinnen, die für ein Abendessen fast alles taten“.

Nach der Promenade können auch wir uns vorstellen, für welche speziellen Wünsche die „Lutschliese“ oder die „Tropfrieke“ zur Verfügung standen – und daß die „Pinselfrieda“ ganz bestimmt keine Malutensilien verkaufte. Petra Lüschow

Die Hur-Tour findet jeden 1. und 3. Mittwoch im Monat statt. Treffpunkt Tucholskystr. 30, Zosch um 18.30 Uhr.