Zwei schräge Säger

Schwer verliebt: Das Kleine Kreuzberger Geräuschorchester feiert sein elfjähriges Jubiläum  ■ Von Anna-Biance Krause

Im Labyrinth der Zentralheizungsrohre probt ein Percussionensemble, zuschlagende Türen und aufspringende Fensterläden geben den Takt an, Kühlschränke surren und schnurren verliebt, Kassettenrecorder sind chronisch mies gelaunte, brummende Wesen. Aufmerksame BeobachterInnen haben das Eigenleben ihrer Haushaltsgeräte längst entdeckt, wissen um die Musikalität ihrer Umgebung, der sie manchmal nur durch festes Verstopfen beider Gehörgänge entfliehen können.

Kein Wunder, daß auch MusikerInnen seit jeher inspiriert sind von der tönenden Versuchsarena des Alltags. Der US-amerikanische Schlagzeuger Spike Jones ließ sich gar von einem solchen, an sich nebensächlichen Geräusch dazu verleiten, der virtuoseste und verrückteste musikalische Humorist aller Zeiten zu werden. Anläßlich einer Strawinsky-Uraufführung hörte er während des gesamten Kozerts ein leises Quietschen, das er keinem der sichtbaren Instrumente zuschreiben konnte, das sich aber dennoch ins klangliche Geschehen einfügte. Als er schließlich herausfand, daß Herrn Strawinskys neue Schuhe beim Auf und Ab des Dirigierens dieses Geräusch von sich gaben, beschloß er, das Erlebnis zum Prinzip seiner Musik zu machen.

Helmut Jungblut und Wolfgang Menthel, die beiden Musiker und Komponisten des Kleinen Kreuzberger Geräuschorchesters, wollen allerdings unter keinen Umständen als Musikhumoristen verkannt werden. Obwohl sie, inzwischen seit elf Jahren, mit unzähligen Gerätschaften auf der Bühne hantieren, die in keinem Instrumentenlexikon zu finden sind – mit Blecheimern, Zahnbürsten, Wasserkesseln, Salzstreuern, Bierflaschen, Luftballons, Plastikenten und anderen Tonwerkzeugen – reagieren sie beinahe allergisch auf die Frage nach ihrer Ernsthaftigkeit. „Es dreht sich überhaupt nicht um Gags, sondern immer nur um das Geräusch, das diese Geräte hergeben. Wenn man zwei erwachsene Männer sieht, die Freude an der Musik haben, ist das schon erschreckend genug.“

Selbstverständlich beherrschen sie auch das übliche Instrumentarium, Klavier und Geige, Gitarre und Querflöte, doch der Zugriff auf Saiten und Hälse paßt sich dem Geräuschsound des Zwei-Mann- Orchesters spielend an. Sägende Serenaden reihen sich an salonfähige Salven, ein herunterfallendes Stück Blech setzt den Akzent auf eine Melodie, und im Dickicht der Gebrauchsgegenstände lauert allerlei seltsames Getier. Sehen die ZuhörerInnen nicht, wie die zeitgenössischen Großstadtsinfonien hergestellt werden, führt der Weg über Spekulation und Phantasie in die Irre: Alte Nähmaschinen ächzen, wehklagende Schiffshörner rufen, Wasser gurgelt den Abfluß hinunter, und in der Ferne fahren Mopeds vorbei.

Mit „diesen todlangweiligen, klugen neuen Sachen“, sprich Avantgarde und Neue Musik, soll die Arbeit von Jungblut und Mentzel aber ebensowenig verwechselt werden. Dem selbstgesteckten Ziel, spannende Unterhaltung auf die Bühne zu bringen, werden die rasselnden, knarzenden, klingelnden, schabenden, geschrubbten, säuselnden Kompositionen durchaus gerecht. Dafür proben die Experimentaltöner nach wie vor zweimal die Woche und widmen den Rest ihrer Zeit Theater- und Filmprojekten.

Das Jubliäumsprogramm „Liebeslieder zum Lenz“, das nun im Stammhaus des Duos, dem Seitenschiff, zur Uraufführung gebracht wird, täuscht mit zeitgenössischer Romantik und Liebeslieder-Ambiente darüber hinweg, daß wir in der Realität dieses Jahr um den Frühling betrogen wurden. Klar doch, daß auch diese Benefiz-Konzerte, zu Gunsten des vielfältigen Kulturprogramms des Vereins Seitenschiff, wieder äußerst ernst gemeinte Unternehmungen sind. Wie sagt doch Herr Mentzel: „Kein Tralala, es gibt auch anspruchsvolle Liebeslieder. Man kann intelligent und romantisch zugleich sein!“ Mit vier Blecheimern, zwei Celli, einer Kaffeemaschine, einer Wohnzimmerlampe, vielen bunten Plastikschläuchen und einem selbstgedrehten Kurzfilm.

„Liebeslieder zum Lenz – Ein Jubiläumsprogramm“: Heute und morgen jeweils um 21 Uhr im Seitenschiff, Nostitzstraße 25 in Berlin 61.