Trost oder Belästigung?

■ Wie weit darf ein Dozent gehen, und wer entscheidet, was eine sexuelle Belästigung ist? / Diskussion am Otto-Suhr-Institut

Dahlem. Das Otto-Suhr-Institut (OSI) diskutiert seit Wochen, ob ein Dozent bei der Verabschiedung einer Studentin zuweit ging. Täglich werden die Betroffenen angesprochen, das Frauengremium diskutiert, Go-ins stören die Veranstaltungen des Rechtsextremismusforschers F. Am Mittwoch erschien ein Flugblatt, gezeichnet von P. Langstrumpf, das vor Gewalt gegen Frauen an Unis warnt und Vorsichtsmaßnahmen empfiehlt. „Uns reicht's! Wir wehren uns!“ heißt es in bezug auf folgenden Fall.

Um das Thema ihrer Diplomarbeit zu besprechen, kam die Studentin Sabine K. (Name von der Red. geändert) am 26. April in die Wohnung des Dozenten, den sie für die Betreuung gewählt hatte. Nach einem dreiviertelstündigen Gespräch über Inhalte und mögliche Verbesserungen begleitete F. sie zur Tür. Im dunklen, engen Flur faßte er sie am Nacken und zog sie an sich. Sie verließ sofort die Wohnung. „Danach war mir klar, daß ich meine Diplomarbeit nicht bei ihm schreibe“, sagt Sabine K. „Das ist ein Unding, der soll seine Finger bei sich lassen.“ Sie wandte sich wegen sexueller Belästigung an die Frauenbeauftragte des OSI.

Der Wissenschaftler selbst zeigt sich über den Vorwurf entsetzt. „Nicht im Traum habe ich daran gedacht, daß mir diese Geste als sexuelle Belästigung hätte ausgelegt werden können“, sagt er. Er habe der Studentin nach dem Gespräch mit der Armbewegung Mut machen wollen, da er nicht recht hätte einschätzen können, wie seine Verbesserungsvorschläge von ihr aufgenommen worden seien. Er habe sich „französisch“ verabschiedet.

Auch Gerd Trube, sein Rechtsanwalt, kann keinerlei sexuelle Belästigung im Verhalten seines Mandanten erkennen. Rechtsanwältin Anne Klein dagegen, die Sabine K. vertritt, sieht hier eine sexuelle Belästigung, wie sie im Landesgleichstellungsgesetz (LGG) §12 unter anderem als „unnötiger Körperkontakt“ beschrieben wird. „Dem muß eigentlich ein Disziplinarverfahren folgen“, so Klein.

Die OSI-Frauenbeauftragte unterstützte Sabines Anliegen, die Belästigung öffentlich zu machen, und sorgte für eine neue Betreuerin der Diplomarbeit. „Während sie herumtelefonierte, nannte sie stets alle Namen“, sagt K. Nur so erklärt sie sich, daß ihr „Fall“ zum Tagesgespräch am OSI wurde.

Das Frauengremium, das die OSI-Frauenbeauftragten berät, diskutierte den Vorfall am Montag darauf. „Die Definition einer sexuellen Belästigung ist immer äußerst problematisch“, weiß Mitglied Erdmute Horn-Sauber. Wenn eine Frau erkläre, sie sei sexuell belästigt worden, sei das ernstzunehmen. In diesem Fall aber waren die Frauen einig, daß die ergriffenen Mittel unverhältnismäßig seien. „Im Süden verabschieden sich alle so, und hier soll eine berufliche Existenz daran hängen?“

Der Vorwurf war nämlich bis zum Präsidenten der FU, Manfred Gerlach, gedrungen, der daraufhin die für Montag, den 10. Mai, angesetzte Ernennung F.s zum C4-Professor aussetzte. Am vergangenen Mittwoch wurde er dann doch ernannt. Man habe die Vorwürfe ausgiebig geprüft und allen Beteiligten Gehör angeboten, sagte FU- Vizepräsident Werner Väth. „Der Vorwurf der sexuellen Belästigung steht nicht mehr im Raum.“ Sabine K. wurde allerdings nicht gehört. Sie hatte die Einladung zu ihrer Anhörung zu spät erhalten.

Die Diskussionen am OSI gehen weiter. Dekanin Gesine Schwan will im Juli zur unterschiedlichen Wahrnehmung sexueller Belästigungen einen Veranstaltungstag organisieren. Für sie stellt sich auch die Frage nach einer neuen Prüderie. Das ganze Institut müsse rational und demokratisch diskutieren, welche Folgen es habe, ganz vorsichtig zu werden mit Gesten. „Ich habe oft Studenten bei mir zu Hause, nehme sie auch mal in den Arm oder tröste sie. Ich will nicht davon abgehen, Studenten nicht nur zu Literaturangaben zur Verfügung zu stehen.“ Corinna Raupach