■ Polens Post- und Telekom-Beamte nehmen das Volk aus
: Wie man sich goldene Ohren verdient

Warschau (taz) – Halina M., Lehrerin in einer polnischen Kleinstadt, zog kürzlich um. Zuvor hatte sie ein Telefon gehabt, und das wollte sie auch behalten. Kein Problem, dachte Halina und beantragte selbiges, worauf ihr die Postverwaltung mitteilte, ja, ihr stehe ein kostenloser Anschluß durchaus zu. Nur für die Leitung müsse sie drei ihrer kargen Monatslöhne, Gesamthöhe 400 DM, berappen. Materialkosten, Lohnkosten plus Mehrwertsteuer. Nicht alles, was kostenlos ist, ist auch umsonst.

Als Halina ihrem Briefkasten später die erste Telefonrechnung entnahm, wollte sie ihren Augen nicht trauen: Vier Millionen Zloty, das Doppelte eines Monatslohnes, sollte sie berappen, obwohl sie von ihrem Anschluß aus nur sehr begrenzt aus ihrem Heimatort hinaustelefonieren kann. Für die Summe hätte sie mehrere Tage lang ununterbrochen telefonieren müssen. Halina protestierte und erhielt einen gnädigen Nachlaß um die Hälfte. Im nächsten Monat hatte sie drei Millionen auf der Rechnung. Da packte sie die Wut. Vor den Augen ihrer Verwandten kappte sie Leitung. Sicher ist sicher! Die nächste Rechnung belief sich dann auf nur zwei Millionen. Natürlich könne sie sich einen Zähler installieren, ließ die Postverwaltung wissen, doch was immer dieser zähle, werde von der Post ohnehin nicht anerkannt.

Halina lebt heute wieder ohne Telefon. Was ihr zustieß, ist in Polen kein Ausnahmefall. Die Warschauer Tageszeitung Zycie Warszawy druckte inzwischen eine ganze Serie von Leserbriefen, in denen übers Ohr gehauene Telefonkunden ihre Erlebnisse schilderten. Und die Gazeta Wyborcza kam jüngst dahinter, daß die Postcomputer Gesprächseinheiten bereits berechnen, wenn man nur den Hörer abhebt. Ein offenes Geheimnis ist, daß manche Telefonnummern doppelt vergeben, die Rechnungen aber nur an einen verschickt werden. „Leider können wir auch nicht ausschließen, daß Postbeamte von der Post aus Privatgespräche führen, deren Abrechnung sie dann über Kunden laufen lassen“, bedauert der Pressesprecher der Telekom.

Polens Antimonopolbehörde hat immerhin erreicht, daß die Post nun nicht mehr legale Schmiergelder für die Installierung von Neuanschlüssen verlangen darf. Bis dahin hatte sie diese von „freiwilligen Zahlungen“ in einen Spezialfonds abhängig gemacht. Und das, obwohl die Gehälter bei Post und Telekom in Polen ohnehin mit zu den höchsten im Staatsdienst gehören. Der Grund ist einfach: Als Monopolbetrieb kann die Post mit ihren Kunden machen, was sie will – und mit ihren Preislisten auch.

Die Privatisierung der Telekom zur Aktiengesellschaft findet so vor allem unter der Hand statt: Die zuständigen Beamten richten sich vermehrt eigene Reptilienfonds ein. Wie Stichproben des Obersten Rechnungshofes ergaben, sind bei 60 Prozent aller Neuanschlüsse dicke Schmiergelder die Regel. Bezahlt wird vor allem, um Anschlüsse zu beschleunigen.

Etwa 2.000 Gemeinden in Polen haben keinen Telefonanschluß. Während im Westen auf 100 Einwohner 80 Telefonkunden kommen, sind es in Polen gerade zehn. Oft handelt es sich dabei aber um Quasi-Attrappen, denn in manchen Warschauer Stadtteilen ist es leichter, mit Zürich, Paris oder Chicago zu telefonieren als mit dem Freund zwei Straßen weiter. Oft genügt ein schlichtes Abheben des Hörers, um das Liebesgeflüster der Nachbarn oder die Intrigen in einer städtischen Wohnungsbaugesellschaft als unfreiwilliger Ohrenzeuge mitzuerleben. Auflegen hilft da nichts – das Telefon ist dann blockiert, bis das nächste Redezvous oder die Entlassung des Vorstands beschlossen ist. Klaus Bachmann