Zwischen den Rillen
: Leidensschaftlich genörgelter Poprealismus

■ Über die Rückkehr von Wildleder und Wandergitarre in den englischen Pop

Es mag an „Suede“ liegen oder an der launischen Schreibe des New Musical Express: Als würde man von einer längeren Urlaubsreise zurückkehren, blinzeln nach fünf Jahren Dancefloor auf einmal wieder mehr und mehr Lebewesen aus den Londoner Club- Kellern hervor. Darüber, daß es draußen gar nicht so schön ist wie auf Parties, werden in England zur Zeit jedenfalls die meisten Lieder geschrieben. Wenn Suede dabei der Wiederherstellung einer symbolischen Form von Gitarrenmusik inklusive offensiv seinsdrückender, leidhafter Camp-Attitüde bei gleichzeitig bewußt öffentlich ausgespielter Rätselhaftigkeit und weichgezeichneter Arroganz gedient haben, dann folgen in einem zweiten Schritt die eigentlichen Essayisten mit Säcken voller Inhalt. Früher Brecht und später Pop, dazu paßt heute auch das linksaktivistisch vermischte Mod- und Skinhead-Outfit von „Blur“, das die „Auteurs“ im Gegenzug den Protagonisten ihres „Show Girl“- Videos als Hochzeitskluft haben verpassen lassen.

Bei der Wiederaufnahme kommunikativer Handelsbeziehungen gilt vor allem das Bescheidwissen über Orte, Historien, Moden und Personen als eine Tugend der Jugend, in deren Alltag sich dann erst mit der Ritualisierung von Nebensächlichkeiten Stil herausbildet. Blur kaufen die Doc Martins mit air cushioned soles am Samstag an der Portobello Road („Blue Jeans“) und fahren zum Frische- Luft-Schnappen nicht Richtung Windsor zum Hochadel an die Seen, sondern nach Primrose Hill („For Tomorrow“), weil man von dort aus einen besseren Überblick über die Stadt hat. London erscheint als wiedergefundenes Zentrum, von dem jene verloren geglaubten Text-Verbindlichkeiten wie Authentizität und grundehrliche, existenzielle Verzweiflung ausgehen, die anscheinend immer noch einen guten Popsong ausmachen müssen. Mit diesem am Moloch Großstadt wiedererstarkten Lebensgefühl wird zumindest allen chemischen Thrills und Schlechtigkeiten dieser Welt getrotzt, bei Blur gilt schließlich jedes „modern life“ als „rubbish“.

Zurück zum Wesentlichen: Liebe statt Sex, ein gutes Buch anstelle von schmuddeligen Videos und keine Drogen mehr, man weiß ja, wo das endet. Dann muß man nämlich Schokolade in sich hineinstopfen, um abends einschlafen zu können („Chemical World“). Wohin Blur in ihrem leidenschaftlich genörgelten Poprealismus steuern, bleibt offen. Manchmal klingt das alles sehr betulich kumpelhaft und institutionalisiert, so als würden Madness Aufklärungslieder über Aids im Vorabendfernsehen singen, auch wegen der vielen netten Punkrockriffs, zu denen der sauertöpfige Buzzcocks-Zungenschlag im Gesang eigentlich ganz gut paßt.

Die Erinnerungen, in denen The Auteurs kramen, sind rein künstlerischer Natur und liegen in der Geschichte noch weiter zurück als Punkrock. Ihre Arbeit am Songwriting mag von der Erkenntnis beseelt sein, daß Duran Duran oder Frankie Goes To Hollywood eben nur ein billiger Ersatz für frühere Teengottheiten gewesen sind. Pop waren die achtziger Jahre jedenfalls nicht, folgt man der reanimierten Seventies-Logik vom musengeküßten Glamgenie („Starstruck“). Anders als im gelblichen Heldentenor eines Bowie oder Bolan klingt dabei die Stimme des Auteurs-Sängers Luke Haines jedoch sämig mild nach low fat Milch, und jedes Wort wird fein säuberlich und überlegt wie ein Lennonzischeln ins Off gespuckt. Die Ironie setzt sich in den Texten fort. Sie kreisen um die Frage nach dem Wesen des echten Popstars. Natürlich ist das Konzept auf Selbstfindung angelegt. Am Ende schließt sich der Kreis zwischen dem eigenen Treiben und dem der Helden von einst, wenn es beim Abschied heißt: „I left the singing family“ („Early Years“). Zuvor werden allerlei strategische Tricks und Vexierspielchen ausgetüftelt, etwa das scheinheilige Absingen solcher Verse wie „I gave up singing, when I was told, I could not dance“ („American Guitars“), oder jener augenzwinkernde Ratschlag, sich sein Popstar-Outfit nicht aus „Junk Shop Clothes“ zusammenzustellen, da man in Second-Hand-Klamotten vom Trödel nicht an die Spitze gelangt, während die Band für ihre Garderobe den Flohmarkt an der Petticoat Lane geplündert hat.

Nicht nur in diesen Kapriolen und Exzentrizitäten blitzen all jene Widersprüche auf, die die Qualität wirklicher Popstars ausmachen. Tatsächlich hat es für die Massen der siebziger Jahre genau so funktioniert, als Marc Bolan in „Children of the Revolution“ sang: „I drive a Rolls Royce, cause it's good for my voice“, und damit die hysterische Genußfähigkeit seiner proletarischen Fans in der Wunschproduktion um ein Vielfaches erhöhte. Es ist diese unverschämte Hochstapelei, die in der Sprache des Stars ihn mit seinen Fans vereint, da sie nur aus einer Armut entstehen kann, der man mit großspurigen Bildern entgegentritt. 1993 ist der Glamour ein wenig zerzauster und zotteliger als damals, hat sich überhaupt eine tiefere Bitterkeit in die Texten eingeschlichen. Auch wenn für „Show Girl“ die Liebe als letztgültiges Karma und Mantra in Zeilen fortlebt wie: „She can't work in the wintertime, I can't work anytime now“. Das klingt doch sehr hübsch, viel schöner als in den achtziger Jahren das „Relax, don't do it, when you gonna come“. Harald Fricke

Blur: „Modern Life is rubbish“. (Food; Parlophone)

The Auteurs: „New Wave“. (Hut Recordings; VC Records)