piwik no script img

Von der Folterkammer ins Lager

■ Ein Iraner erzählt die Odyssee seines Lebens bis zum Asyl in Deutschland / Nach schwerer Folter Flucht / Menschenunwürdiges Leben im Flüchtlingslager

Ich hätte sein Alter auf 45 geschätzt. In Wirklichkeit ist er gerade 34 geworden: Müde, umrandete Augen, Falten auf der Stirn und eine gebückte Haltung. Als Student der Teheraner Universität sympathisierte er mit bewaffneten Gruppen, die im Untergrund gegen das Schahregime kämpften. Nach Abschluß seines Studiums begab er sich ins Ausland. In den USA schloß er sich der iranischen Auslandsopposition an, wurde Mitglied einer linksradikalen Gruppe. „Mich faszinierte die Radikalität, das uneingeschränkte Engagement für die Schwachen und Habenichtse.“ Der Ausbruch der Revolution im Iran erfüllte ihn mit großen Hoffnungen. Wie die meisten seiner Kampfgenossen, kehrte auch er, kurz vor dem Sturz des Schah in den Iran zurück. Dort wurde er Mitglied der Volksfedaijn. Der absolute Machtanspruch der Mullahs zwang bald die meisten Organisationen in den Untergrund. K. tarnte sich als Taxifahrer, und sorgte für den Transport von Flugblättern und anderen Publikationen. Eine Zeitlang arbeitete er in einer Druckerei. Schließlich geriet er, zusammen mit seiner jungen Frau, in die Fänge der Revolutionswächter. Irgendein Genosse muß seine Unterkunft verraten haben. Seine Frau war gerade vor wenigen Wochen schwanger geworden. Sie kam in das Frauen-, er in das Männergefängnis. „Die Zeit der Untersuchungshaft war die schlimmste“, sagt er. Wir waren 90 Männer, in einem 30 Quadratmeter kleinen Raum zusammengepfercht. Abwechselnd konnte sich eine kleine Gruppe für zwei Stunden schlafen legen. Sonst mußte man die Tage und Nächte im Stehen verbringen. Am zweiten Tag nach meiner Verhaftung wurde ich dem „Untersuchungsrichter“ vorgeführt. Es war ein kahler Kellerraum mit verschiedenen Geräten darin. Außer dem Untersuchungsrichter waren noch zwei Personen anwesend, die sich später als Folterer herausstellten. Der Richter erteilte die Anweisungen, die Folterer führten sie aus. Man legte mir zunächst einen Koran in die rechte Hand, dann begann die Tortur. Ich mußte mich auf den Bauch legen. Meine Beine wurden mit einem Plastikband aneinander festgebunden, dann folgten Schläge auf die Fußsohlen und den Rücken. Beim ersten Schrei stopfte ein Folterer mir einen Strumpf in den Mund, ein anderer legte mir eine Wolldecke auf den Kopf. 30 Schläge konnte ich mitzählen, dann wurde ich bewußtlos. Ein Eimer kaltes Wasser schreckte mich wieder auf. Die Füße waren mächtig geschwollen und blutig, der Rücken war an mehreren Stellen aufgerissen. Ich wurde gezwungen, mit gebundenen Beinen ein paarmal in dem Raum herumzuhüpfen. Dabei erhielt ich öfter Tritte in die Hoden. Die Folterer schienen sich zu amüsieren, als wäre ich gerade dabei, ihnen Kunststücke vorzuführen. Der ganze Vorgang wurde dreimal wiederholt. Dann wurden meine Hände an zwei Ringen, die im Abstand von etwa einem Meter an der Decke hingen, festgebunden. In diesem Zustand verbrachte ich eine ganze Nacht. Fragen wurden mir nicht gestellt. Der Untersuchungsrichter begnügte sich mit Beschimpfungen, Beleidigungen und Drohungen und ständigen Schlägen mit Fäusten, auch mit Peitschen aus Stacheldraht. Man werde meine Frau töten und mich den Erschießungskommandos überlassen. Erst einmal sollte ich jedoch für meine Sünden büßen. Die Tortur wiederholte sich ein- bis zweimal in der Woche.“

K. verbrachte drei Monate in Untersuchungshaft. Oft kamen die Revolutionswächter mitten in der Nacht und nahmen ein paar Männer mit. Wenig später hörte man von draußen das Geräusch von Schüssen und Schreien. Jede Nacht verbrachte K. mit der Befürchtung, er könnte der nächste sein, der aufgerufen wird. Nach einigen Monaten erfuhr K. von der Geburt seines Sohnes. Nach zwei Jahren wurde K.s Frau entlassen, K.s Haftzeit dauerte acht Jahre. Während er im Gefängnis saß, war die Frau mit dem Sohn nach Deutschland geflüchtet. Er mußte sich nach seiner Entlassung wöchentlich einmal bei der Polizei melden. Man verlangte von ihm Spitzeldienste. K. hielt es nicht mehr aus. Nach langem Suchen fand er einen Fluchthelfer, der ihm für viel Geld gefälschte Papiere besorgte und ihn über Gebirgswege über die Grenze brachte.

In Deutschland angekommen, kam er in ein Flüchtlingslager. Vieles erinnerte ihn an die Zeit seiner Gefangenschaft. Daß er hier mit wildfremden Menschen, deren Sprache er nicht verstand, in einem engen Raum, unter menschenunwürdigen Zuständen zusammenleben mußte, konnte er lange Zeit hindurch nicht begreifen. Frei bewegen durfte er sich auch nicht. Jede Reise außerhalb des Bezirks, in dem er sich aufhielt, bedurfte einer Sondergenehmigung. Eine solche bekam er für drei Tage, um seine Frau und seinen Sohn aufzusuchen. Der Besuch war ein schlimmer Schock. Die Frau, die er antraf, war nicht dieselbe, von der er vor zehn Jahren an dem Abend seiner Verhaftung getrennt worden war. Sie hatte sich völlig verändert, er natürlich auch. Die beiden waren sich gänzlich fremd geworden. Ein abermaliges Zusammenleben mit ihr war ausgeschlossen. Der Sohn, inzwischen neun Jahre alt, kannte ihn nicht. K. kehrte in das Lager zurück. Er erfuhr, daß das Lagerleben lange, vielleicht Jahre lang andauern könnte. Doch zu seiner Überraschung erhielt er bereits nach acht Monaten seine Anerkennung. Nun lebt er in einer deutschen Großstadt. Eine Arbeit hat er nicht. Er hatte im Iran Mathematik studiert. Für ihn wird es auf dem Arbeitsmarkt kaum eine Verwendung geben. Sicher fühlt er sich auch hier nicht. „Ich gebe die Hoffnung nicht auf“, sagt er. „Irgendwann wird sich die Situation im Iran ändern. Dann kehren wir alle zurück und bauen ein neues Leben auf.“ Bahman Nirumand

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen