■ Verteidigung der Stahlstandorte um jeden Preis?
: Stahl und Eisen bricht

In der Stahlindustrie regiert der Rotstift. Klöckner in Bremen, Krupp in Rheinhausen und Oranienburg, die Neue Maxhütte in Sulzbach und jetzt Saarstahl in Völklingen – das Sterben der Hochöfen hat erst angefangen. Angesichts der gigantischen Überkapazitäten von 30 Millionen Tonnen Roh- und 19 Millionen Tonnen Walzstahl und einem rigorosen Preiskampf gießen die westeuropäischen Hochöfen Monat für Monat Verluste von einer halben Milliarde in den Sand. Überleben kann nur, wer die richtigen Produkte herstellt, genug Rücklagen besitzt oder, wie vor allem in Italien und Spanien üblich, kräftig vom Staat alimentiert wird. Alle sind betroffen, keiner bleibt verschont.

Wie bei jeder Krise geht die Suche nach den Sündenböcken los – und die sind schnell gefunden: die Stahlbosse würden eiskalte Kahlschlagpolitik betreiben, die Osteuropäer die Produkte vom Markt verdrängen und die Preise verderben, die anderen EG- Staaten noch mehr Subventionen auskippen und das EG-Kommissariat nicht entschlossen handeln. Doch das alles sind Scheinargumente, es muß einmal gesagt werden: die großen Hüttenwerke haben keine Zukunft mehr. Die neue Stahlkrise ist noch immer die alte, die Branche quält sich mit ihren Erblasten: rückläufige Nachfrage, teure Überkapazitäten, verzerrter Wettbewerb. Klöckner ist bereits pleite; die Dillinger Hütte, eines der modernsten Stahlwerke Europas, könnte es schnell sein, wenn sie weiter die Verluste der Völklinger Saarstahl von monatlich 30 Millionen tragen muß. Und was bleibt dem mit rund fünf Milliarden verschuldeten Stahlriesen Krupp-Hoesch übrig, als Kapazitäten stillzulegen oder den Stahl zu Schleuderpreisen auf den Markt zu werfen? Schon jetzt arbeiten einige ausländische Stahlschmieden weit effizienter; außerdem sind kleine Stahlwerke mit spezialisierten Produkten inzwischen den Stahlgiganten in fast allen Belangen überlegen. Beim Massenstahl können die Montangiganten aufgrund der hohen Produktionskosten mit den Osteuropäern oder Koreanern längst nicht mehr konkurrieren – es sei denn mit immer neuen Subventionen oder protektionistischen Maßnahmen.

Dabei widerspricht es gerade in Krisenzeiten jeder ökonomischen Vernunft, Unsummen zum Fenster hinauszuwerfen, um unrentable Überkapazitäten aufrechtzuerhalten und damit auch noch überkommene Strukturen zu konservieren. Die Gelder wären besser in Technologieparks, Forschungs- und Entwicklungsprojekten oder regionalen Strukturinitiativen angelegt, um bald für zukunftsträchtige neue Arbeitsplätze zu sorgen. Und: Am Ende des Kalten Krieges bestünde damit auch die Chance, ein Stück weit zu einer neuen, gerechten Arbeitsteilung in ganz Europa zu finden. Erwin Single