Das größte Problem ist die Unterkunft

■ Die AG Flüchtlingshilfe ist Anlaufstelle für Bosnier in Hamburg / Unterbringung in Gastfamilien ist keine dauerhafte Lösung

ist Anlaufstelle für Bosnier in Hamburg / Unterbringung in Gastfamilien ist keine dauerhafte Lösung

Ein Wochentag in der Danziger Straße im Hamburger Stadtteil St. Georg: Bis zu 600 Menschen drängeln sich in einer unordentlichen Warteschlange am Eingang des Gemeindesaals der Marienkirche oder sammeln sich in Grüppchen auf der Straße. Es sind bosnische Flüchtlinge, Junge und Alte, Männer, Frauen und Kinder. Einige in bunten, traditionellen Kleidern, andere in blauen Jeans und weißen Sweat-Shirts. Die meisten haben ihre abgegriffenen, bordeaux-roten Pässe oder die kleinen, auf dünnem Papier gedruckten Ersatzausweise in den Händen.

Sie wollen sich bei der AG Flüchtlingshilfe anmelden. Für die meisten der mehr als 6000 Bosnier in Hamburg ist die AG, vor einem Jahr von Caritas und Arbeiterwohlfahrt gegründet, erste und einzige Anlaufstelle in der Stadt. „Im Treppenhaus ist für den Andrang kein Platz, und wir haben ja noch andere Leute hier“, sagt Dieter Ackermann, Referatsleiter und Geschäftsführer des Sozialdienstes katholischer Männer der Caritas. AWO und Caritas sind traditionsgemäß mit der Flüchtlingsarbeit in der Hansestadt betraut.

In dem zum Wartesaal umfunktionierten Gemeinderaum nimmt eine kroatische Dolmetscherin die unterschiedlichen Identitätsausweise der Flüchtlinge entgegen, schickt die Papiere in den zweiten Stock des Nebengebäudes: Dort sind die Arbeitsräume der Caritas. Ackermann: „Wir zahlen meist 14tägig 140 Mark Verpflegungsgeld pro Kopf aus, beschaffen Unterkunft und Windeln und wir unterstützen bei allem behördlichen Kram.“

Der wird immer mehr. Allein im April kamen 461 bosnische Flüchtlinge. In den ersten vier Monaten des Jahres hat sich die Zahl verdreifacht, von 2000 im Dezember auf 6000 im April. 461 Neuzugänge im Monat, das bedeutet für die rund 30 Mitarbeiter und Honorarkräfte der AG 461 neue Schlafgelegenheiten organisieren, Geldanträge bearbeiten, Aufnahmegespräche führen. Dazu kümmern sie sich um individuelle Probleme von verängstigten, erschöpften und manchmal aggressiven Menschen.

Ausreichende Unterkünfte zu beschaffen ist erstes und größtes Problem in einer Stadt, in der Wohnraum Mangelware ist. „Wir dürfen der hamburgischen Bevölkerung keinen Wohnraum wegnehmen“, sagt Ackermann. Nur begrenzt stehen Pensionen oder Billighotels zur Verfügung.

Die AG verfügt nur über 700 Unterkunftsplätze für Flüchtlinge. Die sind in den drei Wohnwagensiedlungen in Poppenbüttel, Zollenspieker und im Volkspark und einer Siedlung in Billstedt eingerichtet. Doch täglich werden 20 neue Plätze benötigt. Dieter Ackermann verzweifelt nicht; das liegt am Organisationstalent der Mitarbeiter: „Da kommen die manchmal und haben irgendwie 100 Schlafgelegenheiten aufgetan.“

Gastfamilien sind selten eine dauerhafte Lösung: „Die Gastgeber rechnen nicht damit, daß die Leute lange bleiben müssen. Eben solange, bis der Krieg vorbei ist“, erklärt Ackermann. Und es sei wegen der Sprach- und Kulturunterschiede nicht einfach, auf engem Raum zusammenzuleben. „Viele haben sich zum Beispiel beklagt, daß die Energiekosten explodieren. Die Flüchtlinge lassen oftmals den Wasserhahn laufen, weil das in Jugoslawien auf dem Land so üblich war“, erzählt Ackermann.

Potentielle Gastfamilien müßten sich klar sein, daß sie Verantwortung für das Zusammenleben übernehmen müssen. Finanzielle Belastungen wie Krankheitskosten gibt es jedoch nicht, sagt Ackermann: „Die Behörden übernehmen die Krankenkosten anstandslos“.

Dazu kommt die permanente Anspannung der Flüchtlinge. Dolmetscher Safet Brajic': „Die Leute wissen ja nicht, wie es weitergeht oder haben von ihren Angehörigen monatelang nichts gehört.“ Zu ihm kommen die Menschen mit ihren Problemen: „Ich spreche die Sprache, kenne die Umstände. Bei mir wird geheult oder geschimpft.“

Gibt's Konkurrenz unter den Armen der Stadt? „Bei den Unterbringungsmöglichkeiten nicht, eher bei den Geldauszahlungen“, meint Ackermann. Den Flüchtlingen stehen zehn Mark am Tag zu, sie liegen also unter dem Sozialhilfesatz. „Die Obdachlosen, die wir hier betreuen, gucken schon genau hin, was die Flüchtlinge bekommen. Wir müssen ja auch sehen, was Hamburg verkraften kann.“ Noch sei die Akzeptanz unter der Bevölkerung recht groß, denn die Flüchtlinge wollen in der Regel nicht bleiben. „Die Kroaten, die wir hier vor zwei Jahren hatten, waren entsetzt bei dem Gedanken an Asyl. Die wollen ja alle wieder zurück“, sagt Ackermann.

Doch die zehn Mark reichen nicht: „Die Camps liegen in den Hamburger Randgebieten. Wenn die Flüchtlinge in die Stadt müssen, was oft passiert, dann müssen sie

1eine Fahrkarte für fast sieben Mark kaufen.“ Diese Geldlöcher können die Flüchtlingshelfer notdürftig mit den Spendengeldern stopfen. Ackermann: „Ich kaufe jeden Monat HVV-Karten für 6500 Mark.“ Schließlich habe sich niemand auf diese lange Dauer des Krieges vorbereitet.

Bei der AG stehen mittlerweile Computer, um mit den immer neuen Anmelde-, Auszahlungs- und Stammkartenformularen fertig zu werden. Bis zu fünf Mitarbeiter

1müssen sich nur mit Verwaltungsarbeit beschäftigen. In den Fluren der Caritasräume sitzen die bosnischen Familien und diskutieren, dazwischen liegen die Bauklötze und Spiele der Kinder. Die Nerven der Mitarbeiter sind arg strapaziert, wenn abends um zehn Uhr immer noch nicht klar ist, wo die 15 Neuankömmlinge untergebracht werden können. Ackermann bleibt gelassen: „Irgendwie schaffen wir es immer.“

Katrin Wienefeld