Morgens um halb sechs ist die Welt noch in Ordnung

■ "Ferien auf dem Bauernhof" in Brasilien: Im Pantanal bieten Vieh-Farmen Unterkunft für Touristen / Begegnung mit Krokodil & Tukan incl.

Morgens um halb sechs ist die Welt noch in Ordnung

„Ferien auf dem Bauernhof“ in Brasilien: Im Pantanal bieten Vieh-Farmen Unterkunft für Touristen / Begegnung mit Krokodil & Tukan incl.

Morgens gegen halb sechs, kurz bevor die Sonne aufgeht, ist es vorbei mit der nächtlichen Ruhe. Ein dumpfes, auf- und abschwellendes Grollen dringt aus dem nahen Wald herüber. Affen, tagsüber kaum zu hören, haben jetzt ihre große Stunde.

Wenig später regt es sich in den Bäumen auf dem Hof: Die Vögel begrüßen den Tag mit einem tausendstimmigen Konzert. Die Periquitos, eine kleine Papageienart, die zu Hunderten in der Palme vor unserem Zimmer nisten, fliegen unter ohrenbetäubendem Gezwitscher zur Futtersuche aus.

Morgendliche Idylle im

brasilianischen Mato Grosso

Wenn die ersten Sonnenstrahlen die kommende Hitze ankündigen, beginnt auf der Fazenda Santa Clara der Arbeitstag mit der Versorgung der Tiere: Die um diese Jahreszeit mageren Zebu-Kühe werden gemolken, das von seiner Mutter nicht angenommene Lamm auf einen Weideplatz geführt und großzügig angeleint, das kranke Kalb, das apathisch in einer Ecke liegt, bekommt die Flasche und Medizin. Fleisch für den Hund, Körner für die überall herumstolzierenden Truthähne, Reis für die aus ihren Nachtkäfigen befreiten zahmen Araras und eine Banane für Chico, das zweijährige rotzfreche Äffchen, Liebling aller Mitarbeiter und Besucher. Seu Basilio, um die sechzig und für die Fütterung der Tiere zuständig, schüttet Essensreste auf eine in zwei Meter Höhe auf einem Pfahl befestigte Blechschale und schlägt mit dem Löffel gegen das Metall. Aus allen Richtungen flattern Vögel zum Frühstück herbei und zanken sich um die besten Happen.

Diese frühmorgendliche Idylle spielt sich ab im brasilianischen Mato Grosso auf einer Rinderfarm. Bis zu 20 Besucher können auf der Fazenda Santa Clara in kleinen, einfachen Bungalows „Ferien auf dem Bauernhof“ machen. Santa Clara liegt im Pantanal, jenem immensen und kaum besiedelten Feuchtgebiet im Dreiländerdreieck Brasilien, Bolivien und Paraguay und ist fast so groß wie die neue Bundesrepublik. Das Pantanal besteht aus ungefähr zehn Öko-Systemen, jeden der zahlreichen Flüsse umgibt sein eigenes, spezielles Biotop. Eine weitere Besonderheit: Um eine Sumpflandschaft handelt es sich genau genommen nur in der Regenzeit zwischen November und Mai, wenn die Flüsse über ihre Ufer treten und die weiten Flächen überschwemmen. Wie Inseln ragen dann die wenigen höher gelegenen baumbestandenen Flecken hervor, auf die sich die Tiere flüchten. In der Trockenzeit hingegen, vor allem im August und September, gleicht das Pantanal einer lichten, staubigen Savanne, um deren nun seltene Wasserstellen sich die Vögel in riesigen Gruppen drängen.

Zur Tierbeobachtung besser als der Amazonas

Wer Natur sucht und Tiere beobachten mag, ist hier allemal besser aufgehoben als etwa im undurchdringlichen Amazonas- Urwald. Eine Onca — den brasilianischen Jaguar — wird man zwar auch hier nur mit viel Glück zu Gesicht bekommen. Aber dafür Strauße, weiße Reiher, Tuiuius — eine Art Riesenstörche — Tukane, Falken, Papageien, Wildschweine, Rehwild, die seltsamen Capivaras — große Nager, die aussehen wie überdimensionierte Meerschweinchen — und überraschenderweise jede Menge Krokodile.

In den vergangenen Jahren ist immer wieder über die gnadenlose Wilderei an den „Jacares“ im Pantanal berichtet worden. Zu Millionen werden sie abgeschossen, ihre Häute illegal ins Ausland transportiert und dort zu Taschen und Schuhen verarbeitet. Seitdem die brasilianische Regierung die Waldpolizei etwas verstärkt hat und die Wilddiebe rigoros verfolgen läßt, haben sich die Krokodilbestände zumindest in den besser zugänglichen Randgebieten des Pantanal wieder erholt. was sich weiter im Innern abspielt, haben aber auch sie nicht unter Kontrolle. Oft dauert es zwei Tage, erzählt der Uniformierte von der „Policia Florestal“ am Posten an der Landstraße zwischen Campo Grande und Corumba, bis sie per Jeep oder Pferd den Tatort erreicht haben, wo mal wieder dutzende von Krokodilen abgeknallt wurden. Natürlich sind die Wilderer dann längst über alle Berge, ihre Beute von irgendeiner Graspiste aus mit dem Flugzeug in Sicherheit gebracht, und von den toten Tieren haben die Aasgeier nichts außer den abgenagten Skeletten übriggelassen.

Und so besteht ein Großteil der polizeilichen Arbeit in der Kontrolle der Angler, die von weither zu dem für seinen Fischreichtum berühmten Rio Miranda anreisen. 30 Kilo und ein Fisch — mehr darf keiner mit nach Hause nehmen.

Die Fazenda Santa Clara ist eine von etwa einem Dutzend Farmen im Pantanal, deren Besitzer sich mittels schlichter bis luxuriöser Touristen-Unterkünfte einen Nebenverdienst verschaffen.

Von offizieller Seite wird der Fremdenverkehr hier begrüßt. Jeder zahlende Besucher, so die Devise, schafft Jobs und sorgt so möglicherweise dafür, daß ein armer Schlucker nicht mehr zur Flinte greift, um durch Wilderei zu überleben.

Das Gegenargument von seiten der Naturschützer: Jeder Mensch zuviel stört das empfindliche ökologische Gleichgewicht der Region.

Die, die hier arbeiten, sehen das anders: Die Touristen durch die Umgebung zu führen, sie zum Angeln mitzunehmen oder mit ihnen auszureiten, dabei hier und da ein schönes Trinkgeld zu kassieren ist ein wesentlich angenehmerer Job als harte Landarbeit, versichert Seu Basilio und streichelt das von ihm großgezogene halbzahme Capivara-Pärchen. Claudia Hönck