Gegen Herrschaftsallüren

■ ...wendet sich Helmut Börsch-Supan, deutlicher Kritiker der staatlichen Museen

Helmut Börsch-Supan, Kunsthistoriker, seit über 30 Jahren am Charlottenburger Schloß, ab 1974 stellvertretender Direktor der staatlichen Schlösser und Gärten, hat sich ein Jahr unbezahlten Urlaub genommen, um gegen die Museumspolitik der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) und des Senats zu protestieren. Er ist der Verfasser des Werkverzeichnisses zu Caspar David Friedrich, ein intimer Kenner der Berliner Stadtgeschichte und Gründungsmitglied des Neuen Berliner Kunstvereins (NBK).

taz: Sie haben in der Vergangenheit immer wieder von der „Krise des Museums“ gesprochen. Worin besteht diese Krise?

Börsch-Supan: Die Krise besteht meines Erachtens zunächst einmal in dem weitgehenden Auszug des wissenschaftlichen Denkens. Und damit auch in dem Auszug einer bestimmten Ethik, die in der Wissenschaft geboten ist. Besonders bei großen Institutionen macht sich der Einbruch von politisch-taktischem Denken bemerkbar. Wissenschaft und Politik aber sind zwei verschiedene Dinge.

Das klingt ein wenig gewagt.

Die Grundlage der Wissenschaft ist die Suche nach der Wahrheit. Und machen wir uns doch nichts vor, in der Politik wird oft genug nicht nach dem Wahrheitsprinzip gehandelt, es wird vertuscht, verheimlicht, gelogen. Es gibt wenige gebildete Politiker, die so souverän sind, daß sie einsehen, daß in der Wissenschaft andere Denkgesetze herrschen.

Welche Auswirkungen hat diese Krise in Berlin?

Nehmen wir zum Beispiel die Neue Nationalgalerie. Sie hat sich seit den fünfziger Jahren darauf kapriziert, das 19. Jahrhundert systematisch zu vernachlässigen. Man hat immer wieder angeführt, es müßten die Lücken geschlossen werden, die die Aktion Entartete Kunst in die Sammlung geschlagen hatte. Ein völlig unwiderlegbares Argument. Darüber hinaus litt die Nationalgalerie unter ihrer Bezeichnung und wollte unter keinen Umständen in den Ruf geraten, die nationale deutsche Kunst zu stark in den Vordergrund treten zu lassen. Also schien für die Ausstrahlung des Hauses der Einsatz für die Gegenwartskunst viel zweckmäßiger zu sein. Und da sich Berlin ja gerne das Image des ewig Jugendlichen zulegt, geriet das 19. Jahrhundert in den Hintergrund, damit aber auch die wissenschaftliche Arbeit. Das sehen Sie daran, daß der Bestandskatalog zum 19. Jahrhundert von 1976, das sage ich mal ganz ungeniert, innerhalb der deutschen Kataloge der miserabelste ist.

Man kümmert sich zu sehr um zeitgenössische Kunst?

Es ist eine generelle Tendenz in Häusern, die eine Abteilung des 19. Jahrhunderts und eine moderne haben, einen Mann der modernen Kunst auf den Direktorenposten zu heben, weil diese Leute sich besser mit der zeitgenössischen Kunstszene vertragen. Und die Kunstszene macht ja Druck auf die Museen, damit diese sich noch mehr aktuellen Entwicklungen öffnen. Man muß das verstehen, die Leute haben Existenzängste. Nur ist es fraglich, ob ein Museum der richtige Ort ist, sie zu beheben.

Können Sie das genauer erläutern?

Ich denke, Künstler machen sich Illusionen. Ich interessiere mich für die Frage, wie geht man heute um mit der Gegenwartskunst von 1960. Meines Wissens hat noch nie jemand danach gefragt, was eigentlich in den Depots der Museen an ehemals moderner Kunst lagert. Wo sieht man heute noch Fritz Winter, Theodor Werner oder K.R.H. Sonderborg, die wir ja einmal für ganz fortschrittlich gehalten haben? Ich finde es traurig, wenn Künstler, die vielfach noch leben, wieder abgehängt und in die Ecke gestellt werden. Das sollten die jüngeren Kräfte sich klarmachen, die jetzt mit Ellenbogen ihre Vorgängergeneration verdrängen.

Zum Erwerb eines Kunstwerks durch ein Museum sind doch aber immer zwei notwendig, und der Kurator müßte sich gegen solche Lobbyarbeit zu wehren wissen.

In der Regel ist es ja so, daß die Leute, die für eine große Sammlung in Frage kommen, schon arriviert sind. Und für einen Museumsmann ist es außerordentlich wirkungsvoll, Arm in Arm mit einem bekannten Künstler zu posieren. Außerdem ist es doch klar, daß einer, der eine beträchtliche Summe Geldes für einen bestimmten Künstler ausgegeben hat, belohnt wird. Ich will in keiner Weise unterstellen, daß das durch Teilhabe oder durch materielle Gewinne geschieht, aber es wäre auch jeder dumm, der sich heute mit einer Geldsumme bestechen läßt. Es gibt ja ganz andere Möglichkeiten der Bestechung: durch Einfluß und Macht oder durch den Aufstieg in bestimmte Gesellschaftskreise. Der Kunsthandel hat ein raffiniertes System aufgebaut, um zeitgenössische Kunst in die wichtigen Museen zu bringen.

Sie wollen also Museen ganz ohne zeitgenössische Kunst?

Ich fände es besser, wenn die – zweifelsohne notwendige – aktuelle Diskussion unabhängig von den Museen geschieht. Früher hat man den Grundsatz verfolgt, bei Galerien nichts Zeitgenössisches zu kaufen. Das war eine nicht so unkluge Regelung, weil man dadurch jedenfalls den Einflußnahmen des Kunsthandels ausgewichen ist.

Sie haben sich ein Jahr unbezahlten Urlaub genommen, weshalb?

Es ist die einzige mir verbliebene Möglichkeit des Protests. Das Stiftungsgesetz von 1957, wonach Kunstwerke aus dem Territorium der DDR der SPK zufallen, spricht ausdrücklich von einer Neuregelung im Falle der Wiedervereinigung. Im Speziellen geht es um drei Hauptwerke Caspar David Friedrichs, „Mönch am Meer“, „Abtei im Eichwald“ und „Morgen im Riesengebirge“, die sich bis zum Zweiten Weltkrieg im Berlier Stadtschloß befunden haben und danach in den Schinkel-Pavillon des Charlottenburger Schlosses gekommen sind. Als 1986 aufgrund einer politischen Entscheidung des damaligen Kultursenators Hassemer die Galerie der Romantik gegründet wurde, hatte die Nationalgalerie als damals rechtmäßige Besitzerin die drei Gemälde ohne Rücksicht auf historische Zusammenhänge eingefordert, um eine möglichst prominente Sammlung zusammenzustellen. Wir haben nun gesagt, bitte sehr, die Wiedervereinigung ist da, über den Verbleib der drei Friedrichs muß geredet werden. Denn bei der derzeitigen Museumsplanung von Senat und SPK greift man einfach auf Bodesche Traditionen [Wilhelm von Bode, Generaldirektor der Berliner Museen von 1906 bis 1920] zurück, die letztlich auf dem Wilhelminischen Imperialismus beruhen. Bode hatte deswegen die Unterstützung von Wilhelm II., weil die aufblühenden Museen ein Prestigeobjekt waren, mit denen man gut Eindruck machen konnte. Heute denke ich, muß man in den Staatlichen Museen diese großartige Vergangenheit nüchtern in den Blick nehmen.

Wie soll das funktionieren?

Ich denke, man müßte fragen: was vermitteln wir den Menschen, die nun nicht von der geistigen und moralischen Vormachtstellung Europas überzeugt sind? Wie bringt man etwa den türkischen Landsleuten hier nahe, daß der Pergamonaltar aus der Türkei stammt? Dazu wäre meines Erachtens ein strikter Verzicht auf jede großartige Geste, jede Herrschaftsallüre notwendig. Den derzeitigen Plaungen aber fehlt das Konzept. Bisher wurde über die Verteilung von Dingen nachgedacht, ohne daß ein bestimmer Entwurf vom Museum der Zukunft dahinter erkennbar würde. Nur das Hantieren im Quantitativen ist einfach zu wenig.

Und deshalb wollen Sie die drei Friedrichs wiederhaben?

Es geht mir nicht um einen persönlichen Triumph. In sechs Jahren bin ich längst in Pension. Wichtig ist, daß die drei Hauptwerke in Charlottenburg bleiben. Sie wurden 1810 in einer Sternstunde von Friedrich Wilhelm III. erworben. Das ist kein zufälliges Datum. Es ist der Aufbruch gegen Napoleon hier in Berlin, und das war ja zunächst ein geistiger Aufbruch. Die preußischen Könige sind nie so borniert gewesen, daß sie nur das gesammelt haben, was propagandistisch die Idee vom gottbegnadeten Königtum stützte. Diese Hauptwerke verkörpern eine demokratische Dimension der preußischen Monarchie, die verloren geht, wenn man sie aus Charlottenburg entfernt. Und das ist etwas, wogegen ich mich als Museumsmann natürlich sträuben muß. Interview: Ulrich Clewing