Wer soll helfen: der Staat oder die Banken?

■ Kreuzberger Projekte diskutieren Arbeitsmarktpolitik bei 20 Prozent Joblosen

Muß die Arbeitsmarktpolitik völlig neue Wege gehen angesichts einer Sockelarbeitslosigkeit von bis zu 20Prozent? Gibt es neben dem ersten, profitorientierten Arbeitsmarkt bald einen zweiten, sozial ausgerichteten? Das diskutierte die Kreuzberger Arbeitsgemeinschaft von Sozialprojekten „Arbeit und Ausbildung“ (A3) mit dem Politikprofessor Peter Grottian und Christian Brinkmann vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg.

Dem Staat kommt es viel billiger, gesellschaftlich sinnvolle Arbeit zu bezahlen als Arbeitslosigkeit. Christian Brinkmann untermauerte die These mit Zahlen. Ein Arbeitsloser kostet 33.000 Mark im Jahr. Das reine Arbeitslosengeld mache dabei gerade ein Drittel der Kosten aus. Der Staat zahlt drauf, weil ihm Versicherungsleistungen entgehen, weil er Wohngeld und Sozialhilfe bezahlen muß. Das dahinsiechende human capital, der erschreckende Bildungs- und Motivationsverlust Arbeitsloser, gar nicht gerechnet.

Bei Arbeitsbeschaffung zahlt die Bundesanstalt für Arbeit – vordergründig betrachtet – 43.000 Mark je Maßnahme. Aus gesamtfiskalischer Perspektive bleiben davon letztlich nur 2.000 Mark an Kosten über, erläuterte Arbeitsmarktforscher Brinkmann. Das bedeutet, daß von AB-Maßnahmen gesamtwirtschaftliche Effekte für Vater Staat ausgehen, die die ursprünglichen Kosten am Ende wieder hereinholen. Ähnlich ist es bei Fortbildung und Umschulung: Zu 65Prozent tragen sich die Maßnahmen im Westen selbst, im Osten zu 52Prozent.

„Wo ist die Weiterentwicklung?“ lautete die Frage nach dem neuen Instrument des Lohnkostenzuschusses. „Dieses Modell ist nicht handhabbar“, berichtete die Vertreterin einer Servicegesellschaft ihre Erfahrungen aus dem Osten Berlins. Der bislang auf die Ex-DDR beschränkte Zuschuß zum Lohn von maximal 15.120 Mark jährlich (statt Arbeitslosigkeit) deckt lediglich die Hälfte der reinen Lohnkosten ab. Ohne Co- Finanzierung durch Land oder andere Geldgeber überweist die Bundesanstalt erst gar nicht. „Die organisatorische Aufgabe, die verschiedenen Mittel zu kumulieren und Jobs daraus zu machen, wird uns übertragen“, beschwerte sich Uwe Gluntz von Atlantis. Das sei aber Sache der Politik. „In Berlin ist das Geld dafür gar nicht da“, meinte jemand anderes.

In die Zange genommen wurde Peter Grottians Idee, Arbeitslose sollten sich mit bankfinanzierten Lohnkrediten selbst Arbeitsplätze schaffen. Das sei der neoliberale Gedanke, jeder sei seines Glückes Schmied, kritisierte Uwe Gluntz. Die Idee grenze Randgruppen aus. Zudem lenke sie von grundsätzlichen Änderungsnotwendigkeiten ab. Matthias Roß von KirchBauhof meinte dagegen, der Grottiansche Vorschlag verstärke die Versorgungsmentalität vieler Arbeitsloser. „Die Leute wissen zu genau, daß im Notfall der Staat einspringt“, meinte Roß. Aus dieser unseligen ABM-Logik müsse man herausfinden.

„Wir müssen radikal von den Individuen ausgehen, nicht von den Interessen der Trägerstrukturen“, verteidigte Peter Grottian seine Idee, mit Hilfe des privaten Kapitalmarkts Stellen zu kreieren. Angesichts der leergefegten öffentlichen Kassen „sind wir gar nicht in der Lage, etwas anderes zu machen“. Christian Füller