Am Stadtrand droht ein Siedlungsbrei

■ Der neue Flächennutzungsplan (1): Mit der Verdichtung der Innenstadt wollen die Planer Platz für die dringend benötigten Wohnungen schaffen / Im Nordosten zwei große Flächen für die Stadterweiterung

Berlin. Zweifellos liest sich die „Ausgangslage“ zum Wohnstättenkonzept im Entwurf des Flächennutzungsplans (FNP) wie der Katastrophenbericht einer verfehlten Wohnungsbaupolitik: In Berlin mangelt es, so die Studie, an rund 150.000 Wohnungen. 1,71 Millionen Haushalten stehen nur 1,6 Millionen Wohnungen gegenüber. 15.000 „Bruchbuden“ in der Stadt sind nicht mehr beziehbar. Das rechnerische Defizit wird multipliziert durch die schlechte Wohnflächenversorgung der Mieter im Ostteil Berlins.

Noch mehr unter Druck geraten die Berliner Mieter nicht allein durch die hauptstädtischen Verdrängungsprozesse, sondern auch durch die Verringerung des Wohnraumangebots ingesamt: bis zu 100.000 Wohnungen werden durch Abrisse, Zusammenlegungen und Zweckentfremdung verschwinden. Und die Rahmenbedingungen für eine Erweiterung des Wohnungsangebotes, davon geht die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung aus, werden mittelfristig erschwert; insbesondere wegen des anhaltenden Preisanstiegs im Baugewerbe, der ungünstigen Renditeerwartungen beim Wohnungsbau und dem Finanzloch in den öffentlichen Kassen. Mit dem Zuzug von geschätzten 300.000 Neuberlinern bis zum Jahre 2010 wird sich der Wohnungsmangel zusätzlich verschärfen. In der Summe benötigt die Stadt rund 400.000 neue Wohnungen.

Das „Wohnstättenentwicklungskonzept“ setzt die Prioritäten auf die „Verdichtung der Innenstadt“. Der Wohnungsbestand soll dort gesichert, modernisiert und behutsam ergänzt werden. Baulücken und ungenutzte Grundstücke, offene Blöcke und Siedlungen bieten Raum für eine maßstäbliche Bebauung. Die Stadterneuerung wird sich beispielsweise auf die Spandauer Vorstadt, die Lehrter Straße und Brunnenstraße, den Helmholtzplatz oder die Flughafenstraße und Schillerpromenade konzentrieren. Mit welchen Instrumenten – speziell in der westlichen City und in den Randlagen von Kreuzberg, Mitte und Freidrichshain – dem Umnutzungsdruck begegnet wird, läßt der FNP offen.

Für Baumaßnahmen am Innenstadtrand schlägt der FNP eine „Bestandsentwicklung“ vor. Flächen, die in Zusammenhang mit der vorhandenen Bebauung stehen, könnten ergänzt und erweitert werden. Diese Wohnungsbaupotentiale mit einem Volumen von 115.000 Wohneinheiten liegen in Staaken, Lichterfelde Süd und Rudow, in Altglienicke und in Weißensee. „Räume des Stadtumbaus“ – alliierte Flächen, Industrie- und Brachflächen wie an der Rummelsburger Bucht sowie der Airport Tempelhof – sollen zudem zu neuen Wohn-, Arbeits- und Erholungsstandorten entwickelt werden. Sie umfassen ein Wohnungsbaupotential von rund 70.000 Wohneinheiten, die flächenfressend in den Stadtkörper eingreifen werden. Allein an der Rummelsburger Bucht entstünden neben der neuen Wohnanlage eine ganze Dienstleistungscity.

Schließlich sieht der FNP zwei große Stadterweiterungsflächen im Nordosten Berlins vor: An den Ortsrändern von Buchholz/Buch im Bezirk Pankow und in Karow/ Blankenburg (Bezirk Weißensee) sind neue „Vorstädte“ für langfristig über 100.000 Menschen vorgesehen. Die „Parkstadt“ am östlichen Ortsrand von Karow böte rund 35.000 Wohnungen Raum. die komplett neu erschlossen und finanziert werden müßten.

Während die Probleme bei der Innenstadtentwicklung in der Finanzierung, der Schaffung baulich und sozial verträglicher Strukturen sowie der Erhaltung bestehender Nutzungen liegen werden, kommen bei der Ausweisung ganzer Stadtteile erhebliche Konflikte auf die Stadtentwicklung zu. Zugleich reagieren die angedachten Vorstädte nicht genug auf die vorhandenen baulichen und ökologischen Strukturen, gleichen sie doch vielfach verkappten Großsiedlungen. Im Nordosten entstünde ein „Siedlungsbrei“ (Hartwig Berger, AL) aus Trabanten- und Kleingartensiedlungen. Zusätzlich stellt das Wohnungsbauprogramm vorhandene märkische Dörfer – etwa mit dem Bau der „Parkstadt“ – vor einen kompletten Strukturwandel, den Weißensees Baustadtrat Rainer Hampel „für nicht verträglich“ hält. Die Einwohnerzahl von Karow/Blankenburg schnellte von rund 20.000 auf über 100.000 Menschen hoch.

Der Siedlungsneubau wird den Bau von Straßen notwendig machen, deren Verlauf bereits heute umstritten ist. So plant die Senatsverwaltung die B2 als vierte Tangente durch die Kolonie Blankenburg. Die Initiative für den „grünen FNP“ rügte die Straßenbauprojekte ebenso wie die geplante Müllverbrennungsanlage in Pankow. Die Initiative forderte eine Verlängerung des Zeitraums der Bürgerbeteiligung. Rolf Lautenschläger