: Die Zeit der Teestubengefühle ist vorbei
■ Die Generationen, die zwischen '68 und '90 pubertierten, reagieren irritiert auf den Trend
Berlin. Das modetechnische Revival der 70er Jahre kostete Sebastian F. 30 Tafeln Schokolade bester Qualität. Im Oktober 1991 wettete er während eines Studienaufenthalts in Jerusalem mit seiner Kommilitonin Petra B.: Schlaghosen, Plateausohlen und Lacktextilien würden — jedenfalls innerhalb der nächsten zwei Jahre — nicht zur allgemeinen Mode. Als er im vergangenen Herbst wieder nach Berlin kam, wurde er eines besseren belehrt: An der Uni strömten ihm die Studentinnen bereits in hautengen T-Shirts und leicht ausgestellten Jeans entgegen.
Nicht nur das Schaufenster des KaDeWe sieht in diesem Frühling aus wie eine Versammlung aus Flower-Power-Zeiten. Über den Winterfeldtplatz bummeln Jugendliche in Batikhemden und Fransenjacken, und auch auf Parties ist Sebastian F. vor Plateauschuhen nicht sicher. „Die Mode der 70er hat etwas Perverses, etwas bewußt Unästhetisches“, findet der 25jährige. „Das ist die Mode, mit der ich aufgewachsen bin, ohne sie selbst gewählt zu haben.“
Seine Generation entwickelte ihr erstes Modebewußtsein in Abgrenzung von riesigen Kragen, leuchtgrünen Hemden und fußlangen Wickelröcken. Wer in der Überzeugung pubertierte, Häkelwesten und enganliegende Rippenpullis seien der Inbegriff textiler Scheußlichkeit, versteht deren Wiederaufleben als Affront. Zu Anfang der 80er war es ein Akt der Emanzipation gewesen, sich von den bunten Garbadinehosen mit Aufschlag zu trennen und sämtliche Schlaghosen abzunähen. Und jetzt soll man zurück zu wehenden Stoffbahnen um den Knöchel?
„Ich hab' mit solchen Klamotten immer eine gewisse Antiquiertheit verbunden. Wer Schlaghosen trug, war uncool“, erinnert sich Andrea B, 30. Große Kragen trugen damals Versicherungsvertreter, noch heute assoziiert sie Wickelröcke mit den weißen Baumwollsöckchen ihrer Tante.
Anders, wenn auch nicht weniger irritiert, reagiert die Generation der 30- bis 35jährigen auf das Mode-Revival der 70er. Zum ersten Mal unfreiwillig in die Rolle einer Zeitzeugin gedrängt fühlt sich Andrea S.: „Diese rasche Folge der Modewiedergeburten ist fast widernatürlich.“ „Scheußlich“ findet Ulrike B. heute die Wiederkunft ihrer einstigen Lieblingshose: kanariengelb mit Schlag und ganz gegen den Geschmack ihrer Mutter. Auch Kordula D. identifizierte sich seinerzeit mit dem Blumenlook. Sie weiß noch, warum ihr Vater nicht zu ihrer Abiturfeier kam: Sie bestand darauf, ein indisches Flatterkleid zu tragen. „Das hatte mit Protest zu tun. Heute werden wir mit unserer eigenen Pubertät konfrontiert.“
Für Petra B., Gewinnerin der 30 Tafeln Schokolade, ist es nur logisch, daß nach den Fifties und Sixties auch die Seventies wiederkehren. Das Revival spiegele treffend das derzeitige Gesellschaftsgefühl. „Man versucht sich per Zitat mit etwas zu identifizieren, weil man selbst keine Inhalte mehr hat.“ Innerhalb einer „collagenartigen Mode- und Weltanschauungsszene“ könne sich jeder aussuchen, was er für genehm hält, und sei es nur für einen Sommer.
Die Alt-68er selbst blicken skeptisch auf ihre jugendlichen Nachahmer. In der K-Gruppe und im Kapital-AK seien politische Dinge wichtiger gewesen, sagt der 43jährige Alf B. Natürlich habe auch er diese Klamotten angehabt. „Aber bei uns waren Mao-Hemden angesagt, und man stritt sich, wer den schönsten Mao-Button hatte.“ Was Provokation war, sei heute nur Industrie-Machwerk, veräußerlicht und wenig inspirierend. Antje K., ehemals Mitbewohnerin der Kommune 1, versteht den neuen Trend nicht. „Damals paßte das und war eingebunden in ein Gesamtgefühl. Heute ist da kein Gefühl mehr hinter.“
Constanze S., 43, findet es albern, die Kleidersitten der Hippiegeneration wiederaufleben zu lassen. Das „Gefühl einer großen Teestube“ tauge nicht für die 90er mit ihren anders gelagerten politischen und ökologischen Problemen. Trotzdem hat sie sich gleich zwei Schlaghosen gekauft. „Ich finde die sehr kleidsam, die machen längere Beine.“ Corinna Raupach
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen