Rückkehr der Trompetenärmel

■ Die Kleidung der 70er ist wieder in / "Die Leute wollen wieder träumen"

Wie in einem schlechten Film, der vor 20 Jahren spielt, fühlt man sich in letzter Zeit immer häufiger. Grobmaschige Häckelwesten, Schlaghosen so weit wie für zwei Beine, Hemdkragen, wie sie schon Derricks Assistent Harry Klein trug, und vor allem Accessoires, soweit das Auge reicht. Die Siebziger sind zurück; nicht nur in der Mode-Avantgarde einiger weniger Trendsetter, sondern als Massenmode. Zumindest für jene, die sich durch scheußlichste Blümchenmuster in Orange und Mintgrün nicht abschrecken lassen. Selbst beim KaDeWe quellen die Kleiderständer derzeit über mit Klamotten, die vor zehn Jahren endgültig und für immer tot gesagt waren.

Norbert Freitag, Abteilungsleiter bei Hennes & Mauritz (H & M) auf dem Kurfürstendamm, kann jedenfalls einen riesigen Ansturm auf Batikmuster und Trompetenärmel verzeichnen. Die Sachen seien aber nicht so extrem wie damals, also eigentlich aus den 70ern nur entlehnt. Freitag vermutet, daß dieser Stil vor allem aus den Musikvideos von MTV abgeguckt wurde. „Die Designer haben halt gesehen, was die Stars der Teenies für eine Mode machen und haben daraus sofort einen neuen Trend gemacht.“ Ihm kann es nur recht sein, schlägt doch der neue Boom durch wie kein anderer vorher. Zu mindestens 90 Prozent seien die Kunden Mädchen und Frauen zwischen 14 und 25 Jahren. Für modebewußte Jungen und Männer sieht es in der neuen Modelandschaft eher traurig aus. Wer Glück hat, findet vielleicht beim Vater im Schrank noch Propeller-Hemden oder superenge Nylon-Rollkragenpullover.

Woher kommt die Neuauflage einer Mode, die eigentlich keine war? Einer, der es von Berufs wegen eigentlich wissen muß, ist der Hamburger Modemacher Wolfgang Joop. Das Hervorholen der alten Klamotten, glaubt er, hat mit dem Überdruß an den Werten der 80er zu tun. „Die Leute wollen wieder träumen, Romantik erleben und wild sein.“ Mit der Mode lebe auch wieder der Protest gegen die „arrivierten Eltern“ auf. Also kein Modediktat von oben? „Wir Modedesigner können nie Mode diktieren. Wir nehmen nur auf, was wir sehen und setzen das um.“ Allerdings sei der Protest gegen die „Zeit der glatten Karriere-Typen“ unausgesprochen und eben nur durch die Kleidung nach außen getragen. Selbst seine eigene 19jährige Tochter habe keine Lust mehr, sich mit „diesen Hamburger Sekretärinnen und Werbe-Typen“ abzugeben. „Geistige und mystische Werte“ würden die Fantasiebereitschaft fördern. In sei, was Spaß macht.

Der 48 Jahre alte Joop findet die überweiten Hosen, Plateau-Sohlen-Schuhe und wild bedruckten Hemden scheußlich. Diese „grauenvollen Fummel“ seien ästhetisch gesehen Ausdruck eines „Tiefpunkts der Kultur der 70er“. Auch die parallel existierende Crunch- Mode aus dem Osten der USA, die durch kaputte Klamotten und möglichst schmuddeliges Auftreten gekennzeichnet ist, passe in diesen Anti-Mode-Trend. „Meine Models kommen oft richtig schmutzig in das Atelier. Manchmal stinken die sogar.“ Daß die Jugend keinen eigenen Stil entwickelt, liegt seiner Meinung nach daran, daß „die Enddekaden der Jahrhunderte immer Zeiten der Zitate“ gewesen seien. Dies sei auch jetzt so, was aber nicht heißen solle, die Werte der Jugend seien inhaltsleer. Interessanterweise würden gerade die hübschen, vormals sehr chicen jungen Leute den neuen Trend mitmachen.

Joop selbst zieht einen anderen Modestil vor. „Ich habe mal drei Tage lang eine Schlaghose getragen. Dann hat mir aber sogar meine Tochter davon abgeraten“, in der Hose habe er einfach nur albern ausgesehen. Wird sich der neue Trend länger halten? Joop bezweifelt das. Seine Designer- Kollegen arbeiten schon längst wieder an neuen Kreationen. So soll der „Berliner Stil der 40er Jahre“ salonfähig gemacht werden — was immer das sein mag. Bedeutet das dann: In den nächsten Jahren kommen der Trümmerfrauen- und der Kriegsheimkehrerlook?

Doch nicht nur die Textilindustrie schaut um 20 Jahre zurück. Auch musikalisch ist wieder „alles aktuell, was als schlecht galt“, klagt Stefan Wruck, Verkäufer im „World of Music“ (WOM) in der Tauentzienstraße. Abba, die schwedische Megagruppe, stürmte bereits vor einem halben Jahr die Hitparaden, und auch Baccara und Boney M. sind wieder Bestseller geworden. „Die Kids hören die alten Songs im Werbefernsehen und kaufen sich die Platten und CDs sofort.“

Läuft der 20 Jahre alte Film also erneut? Irgendwie hat man die Scheußlichkeiten, die jetzt wieder so modern sind, früher doch gemocht. Jörg Welke