■ „Vollkontakt“ als Erlebnisraum für „Berufsjugendliche“
: Mit dem Lauscher dicht an der Szene

Duisburg (taz) – Volltreffer! Die lustigen Menschen vom Duisburger Jugendamt sind die wahren Champs: Sie haben ihre Blumenkohlohren schwer an der Szene. „Zwischen Angehörigen verschiedener Jugendszenen und Erwachsenen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen sollen vorstrukturierte Begegnungen stattfinden“, lockten während der letzten Wochen die Berufsjugendlichen der Ruhrstadt den Rest der Welt. „Bei uns wird durch unmittelbare Vollkontakte eine konstruktive Auseinandersetzung ermöglicht“. Etwa mit Computer-Kids, der evangelischen jungen Gemeinde und mit der Alpenvereinsjugend. Prinzipiell eine revolutionäre Idee! Denn mit dem ethnographischen Ansatz des „Vollkontaktes“ könnte die vergangene Ära der Sozialinteressierten ihre aktuelle Entsprechung finden: Punktuelle Erfahrungen mit Stigmatisierten werden jetzt zum Erlebnisraum umgefriedet. „No credit!“ ist vor der Cafeteria der Drogenberatungsstelle zu lesen. Hier ist ein gemeinsamer Kaffeeklatsch von Drogenkontaktlehrern und Junkies geplant. „Leider haben sich unsere Klienten gerade vom Acker gemacht“, gesteht der Chef des Hauses, „die haben nämlich keinen Bock drauf, von ihnen wie Affen im Zoo bestaunt zu werden.“ Nur Wolle, der Multitoxi, ist dageblieben. Er legt sein Chillum auf den Tisch, schnorrt Tabak und trinkt relaxed einen Becher Kaffee nach dem anderen. Als einziger „Szeny“ genießt er die Aufmerksamkeit, die ihm zuteil wird. „Ich hasse meine Eltern“, sagt er schlicht. Ein Drogenlehrer versucht sich anzubiedern: „Ich habe auch immer Streß mit meinen Alten, Wolle, aber diese alten Leute ändern sich nicht mehr.“ Mit dieser resignierten Haltung kann Wolle sich nicht zufrieden geben: „Aber ich muß doch wat gegen meinen Vatter machen, damit er nicht mehr meiner 14jährigen Schwester an der Fotze rumspielt.“ Schweigen der Lehrer. „Ich bin in dieser Sache zwar absolut nicht firm“, outet sich eine Lokalpolitikerin, „aber wäre die christliche Erziehung nicht eine Chance, dergleichen zu verhindern?“ Wolle kratzt sich an einem Tattoo auf dem linken Unterarm. „Scheiße“ steht da. „Haben Sie Erfahrungen mit Drogen?“ fragt er die bekennende Christin mitleidig. Immerhin haben die Pädagogen ihren Stoff ganz gut gelernt. „Auf jedem Elternabend muß ich erklären, daß diese Haschisch-als-Einstiegsdroge-Nummer absolute Scheiße ist“, empört sich einer von ihnen. „Aber diese blöden Eltern raffen das kaum.“ – „Fressen ist auch 'ne Sucht“, konstatiert ein Drogentherapeut und starrt hungrig auf den letzten Muffin, „der Kohl ist doch dauernd auf Saumagen.“

Andertags treffen sich ein Schulleiter, eine Gewerkschafterin und zwei Journalisten zum „Vollkontakt mit der Spielhallenszene“. Der betreuende Jugendpfleger teilt zunächst pfundweise Silbergeld aus. Zum Verzocken. „Benehmt Euch in der Daddelbude möglichst unauffällig“, beschwört der Präventionsprofi die Erlebnishungrigen, „und schaut genau darauf, was die anderen so tun.“ Aber das kribbelnde Spiel der verdeckt teilnehmenden Beobachtung wird wegen falscher Taktik verloren. Die Zocker fühlen sich massiv behelligt, nachdem das halbe Dutzend Amateur-Ethnographen, unauffällig wie ein Abschlußjahrgang Kommissare zur Anstellung, die Spielhalle besetzt hat. Obskure Geschäfte werden blitzschnell beendet. Auch die „Spielhallenszene“ macht sich aus dem Staub. Und nicht einmal zwanzig, dreißig Mark bewegen den höhnisch fiependen Dracula-Flipper dazu, den wohlmeinenden Dilettanten auch nur ein Freispiel rauszurücken. Schon wieder nix mit dem Lernziel „interkulturelle Interaktionsfähigkeit“. Thomas Meiser