Dirty Dancing

Eine Kampagne für Braunbären, die in Griechenland und Türkei Touristen amüsieren sollen  ■ Von Franz Schiffer

Dimitri war einer der ersten, die erlöst wurden. Mit Äpfeln und Honigbroten, denen Arznei beigemengt war, brachten ihn die Befreier aus seinem Gefängnis in Thessaloniki zu den Pindu-Bergen im Norden Griechenlands. Dimitri hatte keine Augen mehr, sein Rachen war chronisch entzündet, die Schnauze übersät mit den Narben von zehn Nasenringen. Wenige Stunden nach diesen Diagnosen konnte eine Tierärztin den 25 Jahre alten Tanzbären nur noch einschläfern. Das war im Januar, kaum ein Jahr nach dem Beginn einer europaweiten Kampagne zur Rettung Dutzender von Braunbären, die in Griechenland und der Türkei Touristen amüsieren müssen.

Auf Geheiß der griechischen Regierung hat die Polizei bisher drei Leidtragende der fragwürdigen Attraktion beschlagnahmt. Tierschützer haben die Bären in ein weiträumiges Refugium gebracht – das Geschenk eines Weingroßhändlers. Ähnliche Maßnahmen bahnen sich in der Türkei an, berichtet das Deutsche Tierhilfswerk (DTHW), das die Aktion der Welttierschutzgesellschaft (WSPA) mitträgt.

„Dirty Dancing“ nennen die Aktivisten ein Phänomen, das auch in Istanbul zum Stadtbild gehört, etwa zwischen Sheraton-Hotel und Dolmabahce-Palast. Im bewaldeten Park oberhalb der Straße hält eine Zigeunersippe nach möglichen Kunden Ausschau. „Mit acht Tanzbären kommen sie herbei und bauen sich blitzartig vor den Nichtsahnenden auf“, hat der Schweizer Dokumentarfilmer Mark Rissi zusammen mit Bärenfachleuten der WSPA beobachtet. Meist funktioniere der Überraschungseffekt: „Die Touristen staunen über Bären mitten in der Stadt und fangen an zu fotografieren.“ Kaum seien die Kameras gezückt, bettelten die Bärenhalter um ein möglichst großzügiges Bakschisch. „Die unbehagliche Gegenwart mehrerer großer Braunbären fördert die Bereitschaft zu zahlen“, vermutet der Filmemacher. Oft würden die Zuschauer so lange bedrängt, bis sie zwanzig Mark oder mehr für ein Foto mit Tanzbär berappen.

Sähen die Schnappschuß-Fotografen genauer hin, könnten sie leicht erkennen, daß die hochsensiblen Nasen vieler Tanzbären mit Blut und Eiter verklebt sind. Wie schmerzhaft Jungtiere für die Straßenshow abgerichtet werden, hat die Gruppe um Rissi im Zeltlager eines Zigeunerstamms erkundet. Ihrer Mutter entrissen, werden Nase und Lefzen mit einer glühenden Eisenstange durchbohrt; in das Loch kommt der Ring für die Kette. Während der Dressur müssen die Bären auf Metallplatten stehen, unter denen heiße Asche liegt. Dabei ertönt Musik, so daß der Bär später unwillkürlich die Füße hebt, sobald er Musik hört – seine vermeintliche Tanzlust ist eine bloße Angstreaktion. Zwischen den quälenden Auftritten, so fand die Gruppe heraus, werden die Pelztiere an eine Kaimauer gekettet, müssen dort im eigenen Kot vegetieren, umgeben von Blechdosen und Plastiktüten.

Bei der Aktion gegen „Dirty Dancing“ lief Rissis Film in etlichen europäischen Städten. 75.000 Mark wurden bisher allein in Deutschland gespendet. Die Umzäunung des ersten Tanzbären-Refugiums und den Aufbau einer zugehörigen Versorgungsstation in Griechenland hat die WSPA vor allem mit Spenden finanziert.

Daß auch östlich von Ankara ein solches Gehege entstehen soll, hat die türkische Regierung bereits zugesagt. Das Deutsche Tierhilfswerk schließt nicht aus, daß die Refugien am Ende selbst zu Touristen-Magneten werden. Fotografiert wird dann womöglich gegen Eintrittsgeld, welches den Fortbestand der Schutzgebiete sichern soll.