■ Glänzende Zeiten für Götter und Geister
: Der Glaubensdurst ist gewaltig

Jahrein, jahraus zahlte Bartholomäus Dirnraither (Name von der Redaktion geändert) seine Kirchensteuer. In schöner Regelmäßigkeit ging der Oberbayer am Sonntag ins Hochamt und vor Weichnachten und Ostern zur Beichte. Er war ein ganz normaler Katholik: mehr gewohnheits- und brauchtumsmäßig gläubig als katechismusstreng. Bis zum 29. September vor anderthalb Jahren. Da trieb den 56jährigen ein haßtiefer Grimm zu grausiger Tat: Während der Kommunion zog er ein Messer und hieb es dem Herrn Pfarrer, der ihm eben das Sakrament erteilen wollte, jählings in den Unterleib. „Ein Patscher vom Heiligen Geist“, soll er dazu gesagt haben. Vor Gericht erklärte Dirnraither später, er habe durch die „exorzistischen Strahlen“ des Heiligen Geistes „eine Gehirnsenkung erlitten, zwei Löcher in der Lunge und Leberschwellungen“. Das könne er auch jederzeit beweisen, denn der Heilige Geist sei „bis fünf Volt meßbar“.

Ein Irrsinniger, zweifellos. Aber das Beispiel des Bartholomäus Dirnraither macht dem Zeitgenossen das Urteil auch gar zu leicht: Ein hinterwäldlerischer Dörfler, verrannt in einen bodenständig altertümlichen Wahn. Aber ganz so simpel ist die Sache nicht: Auch andere messen geistige Ströme und telepathische Strahlen, glauben an Power Healing und Transpersonalität, schwören auf Kristallkugel und Pendel, zelebrieren schwarze Messen und satanische Kulte. Ohne, daß man sie gleich für irrsinng erklären würde. Freilich, ihr Wahn kommt auch zeitgeistmäßiger daher: phantastisch, plastisch, populär. Postmodern eben.

Solch nachmoderne Sinnstiftung scheint not zu tun in unsinnigen Zeiten, in denen der Glaube an Politik und Fortschritt hin, Aufklärung und Intellekt am Ende und Regenwälder und Ozeane zerstört sind. Auf so gründlich umgebrochenem Brachland gedeiht die neue metaphysische Saat recht und üppig und verspricht sodann die schönsten Früchte: die totale Erleuchtung, die endgültige Erlösung, die direkte Himmelfahrt.

Wo es vielversprechende Ware gibt, blüht alsbald auch der regste Handel. Und so hat das seit den 70er Jahren aufkommende Bedürfnis nach geistlicher Sinnfindung Göttern und Geistern eine glänzende Revanche beschert. Auf Teufel komm raus suchen Heerscharen spirituell Unterversorgter und geistig Verarmter das Heil im Okkkulten, Geheimnisvollen, Mysteriösen. Hunderttausende allein in der Bundesrepublik. Millionen in Europa. Und täglich wächst das Heer der Gralsucher.

Ihr Glaubensdurst ist gewaltig, das Angebot multikulturell reichhaltig: Satansbeschwörungen und Seancen, Derwisch-Reigen und Schamanen-Tänze, schwarze Messen und weiße Magie, Handlesen und Hellsehen, Hypnose und Geistheilerei, Voodoo und Wahrsagerei, Zen für Fortgeschrittene und Exorzismus für Anfänger, Psychoanalyse verhext mit Science-fiction und transzendentale Gruppentherapie. „Glauben Sie, was Sie wollen!“, lautet das weitherzige neue Credo.

Und der Drang nach übernatürlicher Stütze sucht ganz demokratisch alle heim: Kinder und Alte, Minderbemittelte und Bessergestellte. Geglaubt wird, was der Verstand zuläßt, der Bauch verlangt, der Geldbeutel hergibt. „Darf's etwas mehr sein?“ Es darf. Nur zu! Übersinnliche Promiskuität und schöpferische Transreligiosität erwünscht: Heute Christ – morgen Buddhist. Nur eine Silbe trennt das Amen vom Om. Und dabei schwingt das Om soviel besser im Bauch als das kopflastige, nasalierte Amen, Urmantra abendländisch-intellektueller Zersetzung.

Dem Gläubigen, der nach griffiger Sinnlichkeit und nützlicher Magie dürstet, ist mit Weihrauchschwaden und Wandlungsglöckchen allerdings kaum zu helfen. Das weiß auch der Heilige Stuhl zu Rom. Die spirituelle Unterversorgung seiner Herde sorgte den Römischen Oberhirten denn auch so sehr, daß er dem seit Jahren dezent im Hintergrund wirkenden Monsignore Corrado Balducci ab sofort lautes Klappern bei Ausübung seines Gewerbes empfahl. Balducci, gottlob noch nicht wegsäkularisierter Vatikanischer Luzifer-Experte und Ex- Exorzist der Diözese Rom, machte sich mit Feuereifer an seine neue-alte Aufgabe: Er blies dem uralten katholischen Teufelsglauben fauchendes Leben und der anämischen Kirchenlehre neues Leben ein. Mit altbewährten Exorzismen nach dem rituale romanum, so der satankundige Monsignore, werde die Kirche künftig verstärkt dem Leibhaftigen zu Leibe rücken müssen. Denn Berechnungen seinerseits hätten ergeben, daß sich die Zahl der Teufel auf höllische 1.758.640.176 belaufe. Pro drei Menschen einer. Trotz der hoffnungslos veralteten satanischen Relation bewegt sich Rom fast wieder auf der Höhe der Zeit.

Aber nur fast. Da helfen auch Milliarden heimischer Teufel nur wenig. Denn echt geil ist nur der entlegene Kult, die exotische Sekte, die fremde Religion. An diesem Punkt sind die sonst so abweichlerischen Neuerweckten orthodoxe Verfechter einer Art Religionshomöopathie: Gleiches wird durch Gleiches kuriert – die innere Fremde durch das äußere Fremde.

Seit indes ein neuer Zen-Großmeister auf den europäischen Märkten gehandelt wird, dürfen auch ultraorthodoxe Glaubenshomöopathen neue Hoffnung schöpfen. Über nichts, so intime Kenner des unverbrauchten Lehrmeisters, lasse sich besser, einfacher und natürlicher in meditative Denkstarre verfallen als über seinen meditativen Grundbaß: tadelloser Einsatz, perfektes Vibrato, langer Atem, göttliche Längen.

Wie er heißt, der neue Meister? Und wo er herkommt? Er kommt aus Japan und ist ... ein Kühlschrank. Aber garantiert FCKW-frei – damit die ungefilterte Sonne seinen Proselyten nicht noch den letzten Rest Hirn verbrennt. Walter Saller

Der Autor arbeitet als freier Journalist in Berlin