GUS-Finanzhilfen für Siemens

Von dem Geld aus dem EG-Hilfsprogramm „Tacis“ für die GUS-Staaten profitieren Westfirmen / Ausschreibungskriterien undurchsichtig  ■ Von Annette Jensen

Berlin (taz) – Gerlinde Niehus hat einen Auftrag. „Wir sind Förderer von Marktwirtschaft und Demokratie im Interesse der GUS-Staaten“, definiert sie ihren Arbeitsplatz. Zusammen mit 60 KollegInnen organisiert Niehus in Brüssel das Technische Hilfsprogramm der EG für die GUS mit dem englischen Kürzel „Tacis“. 510 Millionen Ecu (1,02 Mrd. DM) fließen in diesem Jahr aus dem EG-Haushalt in das Hilfsprogramm – als Zuschüsse, die nicht zurückgezahlt werden müssen.

Ob eine Universität in der Ukraine, die Regierung von Georgien oder ein privater Betrieb in Rußland – sie alle können Know- how-Hilfe aus dem Westen beantragen. Als Förderschwerpunkte hat die EG die Bereiche Energie, Ausbildung, Vertrieb von Nahrungsmitteln, Transport, Finanzdienstleistungen, Telekommunikation sowie kleinere und mittlere Unternehmen festgelegt.

Daß von den 510 Millionen Ecu dennoch vor allem EG-Firmen profitieren, gibt auch Gerlinde Niehus zu. Zwar stellen die GUS- Institutionen offiziell den Antrag bei einem der Kontaktbüros vor Ort. Tatsächlich aber führen ihnen fast immer westliche Beraterfirmen bei den Anträgen die Feder – natürlich deshalb, um später bei den Ausschreibungen die besten Chancen zu haben.

Doch auch die West-Berater haben häufig Schwierigkeiten mit den bürokratischen Vorgaben der EG. „Die Tacis-Leute in den GUS-Büros helfen den Interessierten inhaltlich überhaupt nicht“, sagt eine Mitarbeiterin einer großen deutschen Beratungsfirma. Außerdem seien sie oft sehr schlecht darüber informiert, was in der Brüsseler Zentrale beschlossen worden sei. „Große Firmen, die es sich leisten können, riesige Stapel Papier zu produzieren, sind bei Tacis eindeutig im Vorteil – obwohl das nichts darüber aussagt, daß sie vor Ort auch tatsächlich helfen können“, meint die Beraterin. Im Grunde wäre es oft viel sinnvoller, wenn kleine Handwerker und Mittelständler die Aufträge bekämen; aber die könnten die Hürden der Bürokratie oft nicht überwinden und die Kosten für die langen Vorlaufzeiten nicht aufbringen.

Selbst wenn formal alles stimmt, dauert es eine geraume Zeit, bis die westlichen Planer vor Ort eintreffen. 12 bis 18 Monate sollen durchschnittlich von der Antragstellung bis zum Projektbeginn bei Tacis ins Land gehen, schreibt der britische Economist.

Für Projekte unter 300.000 Ecu besteht die Möglichkeit einer „freihändigen Vergabe“, bei der die entsprechende Abteilung in der EG den Vertragspartner auswählt. Bei teureren Vorhaben kommt es zu einem sogenannten beschränkten Ausschreibungsverfahren, das die Kommission entscheidet. Am Wettbewerb teilnehmen dürfen etwa fünf bis acht Firmen, die aus unterschiedlichen EG-Ländern kommen müssen. „Das günstigste Angebot wird dann ausgewählt; schließlich arbeiten wir mit öffentlichen Mitteln“, sagt Niehus.

Bisher wurden 15 bis 16 Prozent des Auftragsvolumens an deutsche und jeweils etwa 19 Prozent an britische und französische Firmen vergeben, was bereits zu Mißmut auf deutscher Seite geführt hat. Die EG-Randländer aber haben bisher deutlich am wenigsten von den Tacis-Aufträgen profitiert.

Wie die Betriebe auf die „kurzen Listen“ kommen, dürfen selbst die EuropaparlamentarierInnen nicht erfahren – obwohl Tacis aus Steuergeldern finanziert wird. Die Abgeordnete der Grünen, Hiltrud Breyer, spricht von „mafiosen Strukturen“. Obwohl der juristische Dienst des Europaparlaments ihre Anfrage für berechtigt erklärte, bekam sie von EG-Kommissar Leon Brittan die Antwort, daß allein der Kommission die Umsetzung des Tacis-Programms obliege.

Auch nach der Vertragsvergabe bleibt der Sieger unbekannt. „Wir erfahren nur ab und zu zufällig, wer einen Auftrag bekommen hat“, bestätigt ein Sprecher des bundesdeutschen Wirtschaftsministeriums, das immerhin beratende Funktion für das Hilfsprogramm haben soll.

Die Dresdner Bank hat ihr Engagement selbst bekanntgegeben. Zusammen mit zwei Partnern berät sie auf Kosten der EG die Nationalbank der Ukraine. 280.000 Ecu hat die Kommission dafür zur Verfügung gestellt. Ziel ist es, den Betriebsablauf zu verbessern und die Angestellten im Sinne westlicher Geschäftspraktiken fortzubilden. „Was die EG genau will, ist relativ intransparent“, beschreibt Pressesprecher Thomas Holm eines der Probleme. Zum zweiten klafften die Vorstellungen der Ukrainer und der Berater weit auseinander. „Unsere Partner hatten geglaubt, daß ihre Bank nach einem halben Jahr gut funktioniert“. Tatsächlich aber bestehe der Auftrag lediglich darin zu beraten, wie eine Bank funktionieren könnte. Geld für die Umsetzung ist wie bei den meisten Tacis-Projekten nicht eingeplant.

Auch die Baufirma Hochtief aus Essen gehört zu den Profiteuren von Tacis: Sie hat das Projekt „Flughafenplanung in Kaliningrad“ übernommen. Für die Studie, an der fünf bis zehn Leute ein knappes Dreivierteljahr arbeiten, sind 300.000 Ecu veranschlagt. „Für uns ist die Planung nur eine Vorstufe; wir sind natürlich am späteren Bau weitaus mehr interessiert“, räumt Dieter Busse aus der Auslandsabteilung ein. Wie die meisten westlichen Vertragsfirmen hatte auch Hochtief das Projekt seinen russischen Partnern vorgeschlagen, die dann die formelle Anmeldung übernahmen.

„Für derartige Summen könnte man in den GUS-Ländern viele Leute beschäftigen“, empört sich die EP-Abgeordnete Hiltrud Breyer. Viel Planungsarbeit sei genausogut von Leuten vor Ort zu bewältigen – aber dafür gibt es kein EG-Geld.

Insbesondere im Energiesektor werde klar, daß Tacis nur „Hilfe zur Selbsthilfe der westlichen Atomkonzerne“ sei. Insgesamt 53 Millionen Ecu stehen für nukleare Sicherheit zur Verfügung, wovon vor allem Studien über die Umrüstbarkeit sowjetische Schrottreaktoren erstellt werden. „Und dabei ist längst klar, daß es technisch unmöglich ist, diese AKWs auf ein westliches Niveau zu bringen“, so Breyer. Neue Studien seien rausgeworfenes Geld, mit dem sich fast ausschließlich Siemens und die französische Framatom eine goldene Nase verdienten.