„Es geht nicht um Bevorzugung“

■ Rita Süssmuth zur Gleichberechtigung im Grundgesetz

Kommenden Donnerstag will die Gemeinsame Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat die Ergänzung des Grundgesetzes zum Gleichberechtigungsgebot verabschieden.

taz: Warum Sind Sie bei der Kampagne „Jetzt oder nie! Frauenrechte in die Verfassung“ dabei?

Rita Süssmuth: Nach 40 Jahren Grundgesetz wird es höchste Zeit, daß das Selbstverständliche endlich geschieht und die grundgesetzlich gebotene Gleichberechtigung der Frau gesellschaftliche Wirklichkeit wird. In diesem Sinne stellt die Kampagne einen frauenpolitischen Schulterschluß dar, um den notwendigen Druck auszuüben, der offenbar noch immer notwendig ist, um die Benachteiligung von Frauen abzubauen. Denn in der Arbeitswelt stehen die Frauen mit ihrem Einkommen im Vergleich zu den Männern immer noch schlechter da: Ihr Verdienst ist rund ein Drittel geringer als bei den Männern. Auch die Renten fallen mit rund 50 bis 60 Prozent deutlich niedriger als die der Männer aus. Und: Frauen fehlen in den Positionen, wo sie gestalterischen Einfluß nehmen können – sei es in der Wirtschaft, in der Wissenschaft, in Gewerkschaften oder auch in der Politik.

Männer fühlen sich persönlich von der Quote diskriminiert und klagen. Halten Sie eine Kompensationsklausel für notwendig?

Ohne eine Kompensationsklausel wäre die Ergänzung des Artikels 3 GG eine stumpfe Waffe. Staat und Gesellschaft sind verpflichtet, die Gleichberechtigung tatsächlich umzusetzen und Benachteiligungen abzubauen. Die Angst vor vermeintlicher Bevorzugung der Frauen und angeblicher Ungleichbehandlung der Männer darf nicht dazu führen, daß der notwendige und unverzichtbare Schritt der Verfassungsergänzung ausbleibt. Die Frauen werden sich nicht mit kosmetischen Korrekturen zufriedengeben. Es geht nicht um Bevorzugung, sondern um Abbau von Benachteiligungen bei gleicher Qualifikation.

Ihre Parteikollegin, Bundesfrauenministerin Merkel, hält Frauenquoten für eine „dirigistische“ Maßnahme und ein „untaugliches Mittel zur Erreichung der Gleichberechtigung“.

Die Quote ist eine dirigistische Maßnahme, aber sie ist eine Folge der Nichtbeteiligung beziehungsweise der zu geringen Beteiligung von Frauen an Mandaten und Ämtern. Ganz einfach gefaßt: Wer die Quote nicht will, muß die Frauen wollen. Wenn wir Gleichberechtigung erreichen wollen, sind gezielte Fördermaßnahmen unerläßlich. Eine starre Quote halte ich nicht für praktikabel, daher habe ich mich immer für dynamische, sich notwendig entwickelnde Zielvorgaben oder Quoten ausgesprochen. Ohne sie bewegt sich wenig, ohne sie wird sich der Frauenanteil im Schneckentempo erhöhen. Wir brauchen klare Zielvorgaben, um in der Beteiligung der Frauen voranzukommen.

Frauenrechte in der Verfassung – das beinhaltet für die SPD auch die Gleichstellung „eheähnlicher Lebensgemeinschaften mit Kindern“ in Artikel 6 Grundgesetz.

Nichteheliche Lebensgemeinschaften entscheiden sich mit ihrer Haltung, nicht oder noch nicht zu heiraten, bewußt gegen die Institution Ehe mit ihren Rechtsregelungen und Rechtsfolgen. Von daher ist eine Gleichstellung nicht im Sinne der von diesen Paaren gewählten Form des Zusammenlebens. Eine ganz andere Frage sind die notwendigen rechtlichen Regelungen zum Schutz des Kindes bzw. zum Schutz des Kindeswohls. Interview: Karin Flothmann