Die eigentlichen Sieger sind die Roten Khmer

■ Die UNO hält an der Durchführung der Wahlen fest – um sich dann schnellstmöglich aus Kambodscha zurückziehen zu können / Und was dann?

Phnom Penh (taz) – Die fünf ständigen Vertreter im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, UNTAC-Chef Akashi in Phnom Penh und Politiker der am Friedensprozeß beteiligten Nationen reiben sich die Hände: Wir haben's geschafft. Am kommenden Sonntag beginnen die ersten demokratischen Wahlen in Kambodscha seit vier Jahrzehnten. Eigentlich sollte dies der glorreiche Abschluß des Weges zum Frieden sein: so sah es das Pariser Abkommen vor, das die drei Widerstandsorganisationen und die von Vietnam installierte Regierung Hun Sen in Phnom Penh im Oktober 1991 unterzeichneten.

Gewählt wird tatsächlich – doch ohne die Roten Khmer, die seit knapp zwei Monaten ihre Mitgliedschaft im Nationalrat verweigern. In diesem Gremium waren die Roten Khmer, die Partei des ehemaligen Ministerpräsidenten Son Sann und die Sihanoukisten ebenso wie ihr Bürgerkriegsgegner, die 1979 von Vietnam eingesetzte Regierung unter Hun Sen vertreten. Unter dem Vorsitz von Prinz Sihanouk sollte sie – so sah es der Friedensplan vor – die „höchste kambodschanische Autorität“ verkörpern. Und eng mit der UNO kooperieren. Doch die Roten Khmer haben schon im Vorfeld der Wahlen einer neuen kambodschanischen Regierung den Krieg erklärt. Diese Gruppierung, unter deren Terrorherrschaft von 1975 bis 79 vielleicht eine Million Menschen umkamen, sind die eigentlichen Sieger der jüngsten Entwicklung. Das Beharren ihrer ehemaligen Unterstützer, vor allem Chinas, auf ihre Beteiligung an den Pariser Friedensgesprächen verschaffte ihnen wieder offizielle politische Anerkennung. Sie unterzeichneten zwar – unter internationalem Druck – das Abkommen, doch weigerten sie sich, ihre Armee abzurüsten. Ein zweiter Sieg: die internationale Gemeinschaft nahm dies nicht nur hin, sondern bemühte sich um so mehr, ihnen immer wieder mit Zugeständnissen Tür und Tor offenzuhalten, doch noch in den Friedensprozeß einzusteigen.

Schließlich sagten die Roten Khmer auch noch ihre Teilnahme an den Wahlen ab – vorgeblich aus Protest gegen die Regierung Hun Sen oder die Präsenz vietnamesischer Zivilisten und, wie sie behaupten, Truppen auf kambodschanischem Boden. Tatsächlich mußten sie befürchten, eine vernichtende Niederlage zu erleiden. Und diese werden die Roten Khmer letztlich in einen vierten Sieg verwandeln können: Keine der drei großen Parteien, so rechnen westliche Diplomaten in Phnom Penh, wird alleine die Regierung stellen können.

Mögliche Koalitionen zwischen der kambodschanischen Volkspartei Hun Sens und der sihanoukischen FUNCINPEC oder einer der beiden Parteien mit der Gruppierung des früheren Premiers Son San, der Buddhistischen Liberalen Nationalpartei, werden voraussichtlich keine Zweidrittelmehrheit in der 167köpfigen Nationalversammlung erreichen. Doch die braucht eine künftige Regierung, um eine neue Verfassung verabschieden zu können.

Prinz Norodom Sihanouk, der heute aus Peking nach Phnom Penh zurückkehren soll, hat erklärt, er werde nicht an der Wahl teilnehmen, „um seine Neutralität“ zu beweisen. Er muß wieder in seine geliebte Rolle als „Retter Kambodschas“ schlüpfen. „Sihanouk“, so Tamas, „wird als Staatschef versuchen, eine große Koalition unter der Beteiligung der Roten Khmer zu bilden. Die Roten Khmer haben damit ihr Ziel, ohne Wahl Teil der Regierung zu sein, erreicht.“ Dem Sicherheitsrat, der UNTAC und den Nachbarländern Kambodschas ist's recht.

Bei allen internationalen Beteiligten ist deutlich zu erkennen, daß sie die „Lust an der Gestaltung eines kambodschanischen Friedens verloren haben.“ Die UNO hat ihre Aufgabe erfüllt, es wurde gewählt. Für sie gilt es nun, die kostspielige Operation (2,5 Milliarden Dollar in 16 Monaten) so schnell wie möglich zu beenden. Und die Verantwortlichen können sich dabei auch noch auf die Schultern klopfen: Wir haben in Kambodscha für künftige UN-Einsätze gelernt.

Zu den Schulterklopfern zählen auch die Mitglieder im Sicherheitsrat. Sie haben ihre Pflicht getan und formell Frieden gestiftet. Ihn zu erhalten bleibt, so die ständigen Vertreter, schließlich den Kambodschanern und ihrer demokratisch gewählten Regierung überlassen.

Auch Hanoi, einstiger Verbündeter, zeigt kein weiteres Interesse mehr an Kambodscha. Zwar ist Vietnam entschlossen, einen Genozid an vietnamesischen Siedlern im Nachbarland nicht hinzunehmen und droht mit militärischem Eingreifen, doch will es auch die Grenzen für die ethnischen Vietnamesen nicht öffnen. „Wir haben ausreichend eigene Probleme“, meint Nguyen Ngoc Dien vom Hanoier Institut für Internationale Beziehungen. „Uns geht es um wirtschaftlichen Aufschwung und innerparteiliche Demokratie.“

Tatsächlich kann es sich Vietnam kaum leisten, zwischen 400.000 und 800.000 ethnische Vietnamesen aus Kambodscha wieder aufzunehmen. „Es handelt sich meist um Fischer oder Bauern. Für die Bauern haben wir kein Land, die Fischer, seit Generationen am Süßwasser, haben nicht die Technik, um in Seewasser fischen zu können.“ Aber offensichtlich geht es Hanoi auch um internationale politische Anerkennung und den Weg aus der Isolierung.

Ein neues Engagement in Kambodscha kommt für Vietnam ebensowenig in Frage wie für das um Reputation in Fragen Menschenrechte besorgte Peking. Die ASEAN-Länder, allen voran Thailand, können ihre klammheimliche Freude über das Scheitern des UN-Friedensprogrammes für Kambodscha kaum verbergen. Indochina gilt als deren Einflußbereich und vor allem für Thailand, Singapur und Malaysia als „Dorado“ wirtschaftlicher Ausbeutung – mit billigen Arbeitskräften, Bodenschätzen und vor allem Holz.

Spätestens im Dezember, so die jetzige Planung der UNO, wird der letzte UNTAC-Angehörige Kambodscha verlassen haben. „Im Prinzip“, so der ungarische Diplomat Tamas, „sind wir wieder dort angelangt, wo wir vor knapp zwei Jahren begonnen haben.“