Willkommen, bienvenue!

■ Das Tivoli-Musical "Cabaret" überzeugt trotz eines unvergessenen Film-Vorbilds

überzeugt

trotz eines unvergessenen Film-Vorbilds

Im Grunde ist es ein Armutszeugnis für diese Stadt. Musicalhauptstadt nennt sie sich und doch war das faszinierendste aller Musicals nirgendwo zu sehen: Ein Musical mit Inhalten hinter den Melodien und politischen Aussagen in der erstklassigen Unterhaltung. Doch jetzt ist es da: willkommen, bienvenue, welcome to the cabaret!

Wir befinden uns im heißesten Laden der Stadt, dem Kit-Kat-Klub des Berlins der dreißiger Jahre. Schon an der Tür wird man von jungen Damen in Charleston-Kleidern empfangen, junge Herren mit dezenten Masken leiten einen an einen Tisch im Inneren der Lasterhöhle. Das Tivoli ist der Kit-Kat- Klub. Kein anderes Theater dieser Stadt hätte die Überlagerung der Zeiten so überzeugend andeuten können, wie eben der prächtige Jahrhundertwendebau am Spielbudenplatz.

Trommelwirbel, das exzellente Damenorchester unter Leitung von Richard Kula spielt auf. Spot an, der Conferencier: „Vergessen Sie Ihre Sorgen. Wir werden Sie hier auf andere Gedanken bringen.“ Die schnarrende Stimme von Valentin Zahn wird von jetzt an durch den Abend führen, mit Mephisto-Lächeln und subversiven Kommentaren das Geschehen auf der Bühne vorantreiben, die verschiedenen Erzählebenen verbinden.

Johannes Wienands kleine, von den schrillen Kit-Kat-Girls gezogene und geschobene Drehbühne entspricht der Doppelbödigkeit geradezu genial. Als Bühne auf der Bühne läßt sie auf engstem Raum das Zugabteil, in dem der amerikanische Schriftsteller Cliff nach Berlin reist, das Pensionszimmer, in dem er mit dem Cabaret-Girl Sally lebt und alle anderen Orte der Handlung entstehen.

Die Liebesgeschichte vor dem

1Hintergrund der Machtergreifung der Nazis wird den meisten aus Bob Fosses unvergeßlichem Film mit Liza Minelli bekannt sein. Gegen dieses Meisterwerk anzuspielen, wäre töricht, deshalb haben Corny Littman und Wolfgang Wittig in ihrer Inszenierung die Figurenkonstellationen anders gewichtet. So kommt auch Ernie Rein-

1hardt als Vermieterin zu mehreren beklatschten Gesangseinlagen.

Star des Abends ist selbstverständlich auch hier die Darstellerin der Sally Bowles: Christine Rothacker hat zwar nicht den unwiderstehlichen Charme Lizas, probiert aber folgerichtig auch nicht, ihn zu kopieren. Und vor allem kann sie singen, was das Zeug hält. Jerry

1Marwig als Cliff bleibt dagegen schauspielerisch völlig blaß.

Nach zwei eher dilletantischen Hausproduktionen hätte man es dem Tivoli nicht unbedingt zugetraut, aber Cabaret ist das Intelligenteste und Überzeugendste, was Hamburgs Bühnen derzeit an Musical zu bieten haben. Christiane Kühl

Tivoli, 22. 5. - 31. 7.