Sanssouci: Vorschlag
■ Filmreihe zum Thema „Zwillinge“ im Moviemento
Nicht erst seit das Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit ausgerufen wurde, existiert das Problem der Originalität. Zwillinge als natürliche Doppelwesen geben dem Betrachter immer schon Rätsel auf. Wer ist wer? lautet die Kardinalfrage angesichts der leibhaftigen Spiegelbilder.
Zwillinge, ob eineiig, zweieiig oder siamesisch, sind denn auch Motto und Thema einer Filmreihe, die pünktlich zum Beginn des astrologischen Sternkreiszeichens Zwilling im Moviemento anläuft. Die Filmauswahl reicht von frühen Klassikern wie „Der Student von Prag“ und „Freaks“ über komödiantische Höhepunkte – z.B. Laurel/Hardys „Our Relations“ – und Trashfilme bis hin zu intellektuellen Verarbeitungsvarianten des Themas. Bei allen Genredifferenzen ist den Filmen eines gemeinsam: der Mythos vom fatalen Identitätstaumel und abenteuerlichen Verwechslungsschwindel rund um die Doppelexistenz.
Was Zwillinge zunächst so reizvoll zu machen scheint, ist ihre Abweichung von der menschlichen Normalform. Alles Individuelle kommt einmal vor, nur Zwillinge gibt es scheinbar zweimal. Ihre natürliche Symmetrie allerdings macht sie sympathischer als andere Mutationen, denn: Symmetrie und Balance gehören zu den Ursehnsüchten aller. Die darauf basierende Kultivierung des Zwillingsdaseins wird cinematographisch adäquat mitgeleistet: Zwillinge gehören zusammen, ihre Trennung ist tabu, und genau um diesen Punkt kreisen die Dramen und Pointen der unterschiedlichen Filmgeschichten. Entweder ist es die auch charakterlich fatale Ähnlichkeit oder gerade die Unterschiedlichkeit, die Zwillinge existentiell aneinander zu fesseln scheint. Im mythosbildenden „Doppelten Lottchen“ sorgt das Schicksal mit aller Notwendigkeit dafür, daß zwei getrennt voneinander lebende Schwestern sogar die zerstörte Ehe ihrer Eltern raffiniert kitten, um endlich wieder zusammenleben zu können. Neben solch harmonisch-symbiotischen Duos, von denen die Kessler-Zwillinge seit Jahrzehnten kommerziellstes Zeugnis ablegen, wird besonders im Psycho- und Horrorgenre gerne die Kehrseite des Spiegeldaseins thematisch: Hier steht der Zwilling als abhängige Halbexistenz im Zentrum meist mörderischer Verstrickungen und Komplotte. Konkurrenz, Rivalität und Neid bringen beispielsweise die Varietézwillinge in „Kora Terry“ dazu, sich gegenseitig intrigant das Wasser abzugraben, wenn es um Existentialien wie Sex und Karriere geht. In Brian de Palmas „Die Schwestern des Bösen“ erscheint der Zwilling als magisches Alter ego, das es zu beseitigen gilt, will wenigstens ein Ego überleben. Die unversöhnliche Ambivalenz zwischen der Angst vor Identitätsraub und gleichzeitiger Sehnsucht nach Verschmelzung bilden den Dreh- und Angelpunkt auch in dem Psychothriller „Weiblich, ledig, jung sucht...“
Wo Zwillinge sich zu nahe kommen, scheint dann doch nur Trennung zu helfen. Siamesische Zwillinge gehören seit jeher zu jenen paradoxen Extremphänomenen, die von ihrer Umgebung einerseits sensationslüstern bestaunt und andererseits aufgrund ihrer Widernatürlichkeit gerne getrennt werden – obwohl sie das oft nicht überleben. Bezeichnenderweise sind die ersten bekannten siamesischen Zwillinge Chang und Eng genannt worden, zu deutsch: Links und Rechts – zwei konstitutive Hälften einer Gesamtheit. Gerade mit Bezug auf siamesische Zwillinge hat sich die Idee herausgebildet, es gebe ein Original und eine Fälschung, d. h., nur einer von beiden habe ein wahrhaftes Existenzrecht. Sprachlich macht sich das allein schon an der Tatsache fest, daß ein verkrüppelter Zwilling medizinisch als „Parasit“ bezeichnet wird. Eine legendäre Trashversion dieses Themas bietet „Basket Case“, wo der „Parasit“ von seinem Bruder medizinisch getrennt wurde, jedoch weiterhin monströs und völlig abhängig von diesem im Wäschekorb sein Leben fristet.
Bemerkenswert groß ist der Anteil der Zwillingsfilme, die tragisch mit dem zumeist noch gleichzeitigen Tod der jeweiligen Zwillinge enden. Ein Zwilling, der den anderen überlebte, wäre ein Dissident, der allein dafür schon den Tod verdient hätte. Die Ausgewogenheit der Zwillingssymmetrie ist das Paradigma der Aufhebung aller Differenz. Um eine solch todessehnsüchtige Differenzaufhebung geht es auch den eineiigen Gynäkologen- Zwillingsbrüdern in Cronenbergs Meisterwerk „Die Unzertrennlichen“. Filmisch radikalisiert Cronenberg hier die Uridee vom Zwillingsdasein, indem er nur noch einen Schauspieler für beide Rollen besetzt: Jeremy Irons spielt grandios überzeugend das Zwillingspaar mit komplementär verteilten Rollen: Einer ist der Außenminister, der andere der Innenminister der Beziehung.
In „Ein Z und zwei Nullen“ wird die Zwillingssymmetrie auch zum formalen Prinzip des Films: Gegenstände und Menschen werden von Greenaway ständig so angeordnet, daß ein zentraler Mittelpunkt entsteht, der von zwei gleichaussehenden Seiten flankiert wird. So versammeln sich die hier gezeigten Zwillingsbrüder nach dem gleichzeitigen Tod ihrer Frauen regelmäßig um das Bett ihrer gemeinsamen Geliebten, die ihnen ebenfalls aus Symmetriegründen Zwillinge gebiert. Im Laufe der Zeit werden die zunächst individuell eingeführten Brüder immer systematischer zusammengeschweißt, bis sie später gar – nachdem ihre Trennung als ehemals siamesische Zwillinge offenbar wird – wieder in einen gemeinsamen Anzug passen wollen. Vielfach eingeführte Doppel- oder Halbwesen in Form von Schwänen und Einbeinigen drapiert Greenaway um die Zwillingsbrüder, auf deren Schicksal jene fabelhaft verweisen. Identität und Bindung, deren Verlust und Unmöglichkeit sind die Parameter, um die der Film ebenso humorvoll wie metaphorisch-artifiziell herumrätselt. Das Grundmotiv lautet hier ebenso verzweifelt wie in den anderen Filmen: „Einer hat immer unrecht: Aber mit zweien beginnt die Wahrheit. Einer kann sich nicht beweisen: Aber zwei kann man bereits nicht widerlegen.“ Wer ebenfalls dem Geheimnis (nicht nur) der Doppelexistenz auf die Spur kommen will, findet in der Zwillingsreihe jedenfalls vielseitigste Gelegenheit dazu. Christiane Voss
20.5. bis 3.6. im Moviemento
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