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Aufstand der lesbisch-schwulen Basis

■ Nach monatelangen Auseinandersetzungen um den internationalen Christopher Street Day in Berlin wird es zwei Demos und zwei Festivals geben / Aktionsbündnis bietet gemeinsame Abschlußkundgebung an

Berlin. „Es ist eine Peinlichkeit für Berlin, wenn es am Christopher Street Day keine gemeinsame Demo gibt“, sagt Angela von Tallian vom Aktionsbündnis. Nach monatelangen Auseinandersetzungen zwischen den Organisatoren des Christopher Street Day (CSD) e.V. und dem Aktionsbündnis platzten Ende April die Verhandlungen über eine gemeinsame Demonstration. Nun wird es nicht nur getrennte Festivals geben, sondern am 26. Juni auch zwei Demonstrationen: die traditionelle Ku'damm-Demo des CSD e.V. und die Alternativdemo des Aktionsbündnisses, die vom Ostbezirk Friedrichshain bis zum Tempodrom führen soll.

Daß sich der CSD e.V. doch nicht zum Verzicht auf die Demonstration über den Kurfürstendamm durchringen konnte, liegt nach Ansicht von Angela von Tallian auch am Druck einiger Wirte: „Hauptsache Ku'damm, Hauptsache, das Geld rollt.“ Es gebe „gewisse Initiativen der Kneipen, die zum Teil sagen, wir wollen, daß das auf dem Ku'damm stattfindet“, räumt Hartmut Schönknecht vom CSD e.V. ein. Letztlich scheiterte die gemeinsame Demonstration aber nicht an kommerziellen Interessen, sondern an der Unfähigkeit der beiden Gruppen, sich zu einigen.

Der Traum von einer gemeinsamen Kundgebung

Damit es wenigstens noch eine gemeinsame Abschlußkundgebung gibt, bietet das Aktionsbündnis nun an, diese Unter den Linden abzuhalten. Doch es scheint, als seien die Fronten für Kompromisse schon zu sehr verhärtet. „Ich würde mir eine gemeinsame Abschlußkundgebung wünschen“, sagt Hartmut Schönknecht. „Aber das halte ich nicht für wahrscheinlich.“

Für Außenstehende ist der Konflikt ohnehin kaum noch nachvollziehbar. Entzündet hatte er sich zunächst am Titel „Europride“. Unter diesem Namen feierten im vergangenen Jahr in London 100.000 Lesben und Schwule den ersten europaweiten Christopher Street Day. Seit im Juni 1969 in den New Yorker Schwulen- und Lesbenkneipen in der Christopher Street Polizeirazzien stattfanden, wird der letzte Samstag im Juni unter dem Namen dieser Straße als Protesttag gegen die Diskriminierung von Lesben und Schwulen begangen. In diesem Jahr sollte „Europride“ in Berlin stattfinden.

Schwule und Lesben im Kampf für die Festung Europa?

Am Anfang des Berliner Streits stand ein Mißverständnis. Der Titel „Europride“ ließ den Eindruck entstehen, daß „die lesbisch-schwule Gemeinschaft auf EG 92 eingeschworen werden soll“, wie es in einem Flugblatt der KritikerInnen heißt. Assoziationen an die „Festung Europa“ kamen auf. Eine entsprechende Resolution der Lesbenwoche 92 fand Unterstützung bei Queer Action, dem Schwulenzentrum Schwuz und der Allgemeinen Homosexuellen Arbeitsgemeinschaft (AHA). „Das hat bei uns ziemlich eingeschlagen“, erinnert sich Hartmut Schönknecht vom CSD e.V..

Rückblickend räumt er ein, daß seine Organisation den Fehler gemacht hat, im Vorfeld nicht genügend über das Konzept des „Europride“ zu informieren. Dann hätten sich Befürchtungen, daß zum Beispiel Lesben und Schwule aus Osteuropa ausgegrenzt werden sollen, ausräumen lassen. Die Klarstellung, daß „Europride“ keinen Bezug zur Politik der Europäischen Gemeinschaft hat, sondern auf einer Europakonferenz des Internationalen Lesben- und Schwulenverbandes (ILGA) beschlossen wurde, kam zu spät und erreichte die Adressaten nicht mehr.

Munteres Organisieren – ohne Kontakt zur Basis

Doch hätte die Kritik sicher nicht eine solche Schubkraft entwickelt, wenn sich nicht schon seit längerer Zeit Unmut gegen die CSD-Organisatoren angestaut hätte. „Dahinter steht ein Streit, der fünf Jahre unter dem Deckel gekocht hat und dieses Jahr offen ausgebrochen ist“, stellt Hartmut Schönknecht fest. In der Tat wurde der CSD jedes Jahr größer und kommerzieller und immer entpolitisierter. Die Demonstration verkam zum schrillen „Karnevalsumzug“ mit Motto- wagen, die von Projekten oder Kneipen gestaltet wurden. Der CSD wurde von einer Handvoll Organisatoren gemanagt, zunehmend losgelöst von der Basis. Daß kaum Lesben Lust hatten, sich in den gegebenen Strukturen an der Vorbereitung zu beteiligen, war ein Dauerproblem.

„Wir bieten nur den Rahmen zur Darstellung an diesem Tag“, umreißt Hartmut Schönknecht das Konzept des CSD e.V.. „Wenn von den Schwulenverbänden und dem Lesbenring nichts Politisches kommt, dann findet halt nichts statt.“ Das Aktionsbündnis kritisiert dieses defensive Selbstverständnis als Dienstleistungsbetrieb der Bewegung. „Es genügt nicht, einen Rahmen zu bieten. In der heutigen politischen Situation in Deutschland, und gerade wenn es eine internationale Veranstaltung ist, muß man viel inhaltlicher werden, muß es eine offensive und politische Demo werden“, so Angela von Tallian.

Eine Parade durch den Horror deutscher Geschichte

Diesen Anspruch will das Aktionsbündnis mit seiner Demoroute einlösen, die von Friedrichshain durch das Scheunenviertel führt: Dort gab es in den 20er Jahren nicht nur zahlreiche Lesben- und Schwulenkneipen, sondern es war zugleich ein Viertel, in dem viele JüdInnen lebten. Die Demo führt auch an der Großen Hamburger Straße vorbei, von wo aus die Nazis ab 1942 550.000 JüdInnen nach Theresienstadt und Auschwitz deportierten.

Auch andere Stationen bieten Gelegenheit zur Auseinandersetzung mit deutscher Geschichte oder zu politischen Happenings. Vor der Sankt-Hedwigs-Kathedrale, dem Sitz des katholischen Bischofs von Berlin, werden Tunten aller Kontinente so lange kreischen, bis das Kreuz von der Kuppel kippt, und vor dem Roten Rathaus werden lesbische Vamps und schwule Vampire die Regierenden das Fürchten lehren. Angeführt wird die Demo unter dem Motto „Grenzenlos gegen Ausgrenzung – gegen Sexismus, Rassismus, Faschismus und Antisemitismus“ von einer Gruppe von Amazonen zu Pferde.

Die Demo auf dem Ku'damm wird sich von denen der Vorjahre nur darin unterscheiden, daß die TeilnehmerInnen aus dem Ausland und der Bundesrepublik aufgefordert werden, Transparente mit dem Namen ihrer Heimatstädte mitzubringen. Das Motto des „Marsches für gleiche Rechte“: „Vielfalt und Schwesterlichkeit – Solidarität über alle Grenzen hinweg“.

Die Demo-Route bringt Geld in die Veranstalterkasse

Ob zum Schluß die Solidarität siegt und man sich doch noch auf eine gemeinsame Abschlußkundgebung einigt, ist fraglich. Beim CSD e.V. macht man vor allem Sachzwänge geltend. Schließlich seien die Zeitungen schon gedruckt, die als Endpunkt der Ku'damm-Demo den S-Bahnhof Charlottenburg angeben. Von hier aus sollen S-Bahn- Sonderzüge die TeilnehmerInnen zum Festivalgelände in der Wuhlheide bringen.

Beim Aktionsbündnis vermutet man, daß die Absage an eine gemeinsame Abschlußkundgebung auch aus der Befürchtung erfolgt, daß die DemonstrantInnen dann eher zum näher gelegenen Festival des Aktionsbündnisses im Tempodrom und in der Kulturbrauerei strömen könnten. Als Kompromiß bieten sie deshalb nach wie vor eine gemeinsame Abschlußkundgebung Unter den Linden an. Dorothee Winden

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