Voreingenommen

■ betr.: "Realsatire" von Anita Kugler und "Trost oder Belästigung?" von Corinna Raupach, taz vom 21.5.93

betr.: „Realsatire“ von Anita Kugler und „Trost oder Belästigung?“ von Corinna Raupach,

taz vom 21.5.93

Schon alleine die Bezeichnung „Realsatire“ kennzeichnet auf das genaueste den ausgesprochen oberflächlichen und voreingenommenen Umgang der Autorin mit dem sich an der FU abgespielten Zwischenfall. Mit keinem Wort wird in Erwägung gezogen, daß es sich dabei um weit mehr als „eine Verabschiedung auf französisch“ gehandelt haben könnte. Schon der Gedanke an einen „sexuellen Übergriff“ wird als absurd abgetan. Warum eigentlich?

Die Begründung für das Verhalten des Dozenten findet die Autorin in den Entwicklungen der siebziger und achtziger Jahre, die dazu führten, daß das „flüchtige Berühren“ zu einer gängigen Umgangsform zwischen DozentInnen und StudentInnen wurde.

Was mit jener „flüchtigen Berührung“ genauer gemeint war, kann im folgenden zweiten Artikel nachgelesen werden. Denn hier erst schließt sich der Kreis: „Im dunklen, engen Flur faßte er sie am Nacken und zog sie an sich.“

Aber diesem Satz wird keinerlei Bedeutung zugemessen: Er bleibt kommentarlos im Raum stehen, wo es doch spätestens hier klar werden sollte, daß es sich um etwas ganz anderes als um eine freundliche Geste gehandelt haben muß.

Weiterhin frage ich mich, welche „ergriffenen Mittel“ der Studentin unverhältnismäßig gewesen sein sollen! Etwa, daß sie sich „an die Frauenbeauftragte des OSI“ wandte? Mit den beiden Artikeln hat die taz zumindest eines erreicht, was die Boulevardpresse schon lange zu ihrem Repertoire zählt: Alleine die Tatsache, daß eine Frau sich wegen eines sexuellen Übergriffs an eine Vertrauensperson wendet, macht sie verdächtig und zeugt zugleich von ihrer „Prüderie“.

Mit billigen Vergleichen, die, um Wertfreiheit vorzugaukeln, als Zitate eingestreut werden („Im Süden verabschieden sich alle so“), schwenkt die Autorin in genau die Richtung, wie sie sonst nur Stammtischrednern zugetraut werden.

Auch wenn es sich bei den Vorwürfen gegen die Studentin um unbewertete Zitate handelt, läßt schon die Auswahl und die Anordnung klar erkennen, was die Autorin von den Vorwürfen hält. So paßt es nur in das Bild, daß die Darstellung des sexuellen Übergriffs durch die Studentin um einen entscheidenden Punkt gekürzt wird.

Niemand soll sich wundern, wenn Artikel, die in solch einem Stil geschrieben werden, dazu führen, daß immer weniger Opfer von sexuellen Übergriffen überhaupt noch dazu bereit sind, sich an die Öffentlichkeit zu wagen, und so andere Frauen vor ähnlichen Situationen schützen könnten. Ralph Brugger, Anja Pforte,

Berlin