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■ BerlinalienDer Anti-Olympia-Berliner

Berlin (taz) — Er ist wieder da, der „Anti-Berliner“. Sein Entdecker und Mentor, der damalige und heutige Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) siedelte ihn 1987 im hintersten Kreuzberg an, um den damaligen Randbezirk einen Tag lang von seiner Polizei absperren zu lassen.

Der Phänotypus verkörperte die pure Negation all jener westlichen Werte für die der seinerzeit zu Besuch weilende amerikanische Präsident Ronald Reagan stand. Es war Reagan, der bei seiner Visite in der Stadt die Idee der Olympischen Spiele in Berlin gebar. Sie wurde, wie alles was aus Amerika kam, von den Stadtoberen sogleich dankbar aufgenommen. Zwischenzeitlich wurde er bereits zu den Vereinigungsopfern gezählt, doch war es eigentlich nur eine Frage der Zeit, bis in dem Maße, wie die Olympiabewerbung Gestalt annahm, der Anti-Berliner seine Wiederauferstehung feierte.

Zum ersten Mal wurde er wieder im Februar unter den Produzenten eines Anti-Olympiavideos mit bemüht militanten Bildern gesichtet. Diepgen, für den eine ablehnende Haltung gegenüber der Olympiabewerbung gleichbedeutend mit mangelndem Intellekt ist, mochte in dem Video zunächst nur ein psychiatrisches Problem minderer Bedeutung sehen, bis er sich des unverkennbaren Nutzens erinnerte, der darin liegt, aus seinem Anliegen eine Systemfrage zu machen. Der mangelnden Begeisterung der Bevölkerung wird seitdem mit der unverholenen Drohung auf die Sprünge geholfen, daß sich „die demokratische Mehrheit nicht gefallen lassen“ dürfe, wenn „die Minderheit militanter Spiele-Verderber“ mit ihren „teilweise gewalttätigen Aktionen“ diktieren wollten, ob Olympia kommt oder nicht (O-Ton SPD- Landesvorsitzender Ditmar Staffelt). Mit solch pleonastischen Sperrfeuern werden zur Zeit in Berlin die alten Frontlinien neu markiert. Gegen die „prinzipiellen Neinsager“ werden die Olympioniken-Reihen fest geschlossen, da darf denn auch der sportpolitische Sprecher der SPD, Klaus Böger, den Regierenden anblaffen, „vom Berliner Virus des Selbstzweifels“ infiziert zu sein, bloß weil dieser in einem lichten Moment der Stadt bei der Olympiabewerbung nur noch Außenseiterchancen eingeräumt hat. Die Olympia-Zweifler im Senat, wie Kanzleichef Kähne, halten tunlichst gleich die Schnauze. Da bei diesem Ausmaß an militanter Stadtraison der gemeine Olympia-Gegner nicht halten kann, was sich der Senat von ihm verspricht, greift dieser auf die eigenen Dienste zurück. Die Sicherheitsorgane ermittelten letzte Woche bedarfsgerecht einen „harten Kern gewaltbereiter Olympiagegner“ von siebenhundert Personen. Dies bedeutet immerhin, glaubt man der eigens angelegten polizeilichen Spezialdatei, eine Steigerung von dreihundert Prozent in vier Wochen. Wer wollte angesichts solcher Raten noch etwas gegen die „Ermittlungsgruppe Olympia“ (ErgO) einwenden, die der polizeiliche Staatsschutz nun eigens gebildet hat.

Zwar konnte die zwölfköpfige Truppe noch nicht die 30 Olympiafahnen wiederfinden, die mittlerweile in der Stadt geklaut wurden, doch was ist deren Verschwinden gemessen am Verlust der Spiele für Berlin. Und daran besteht inzwischen kein Zweifel mehr: sollte das IOC im September die Spiele nicht nach Berlin vergeben, war auf jeden Fall der Anti- Berliner schuld. Dieter Rulff

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