Karlsruhe bremst die Bonner Europapolitiker

■ Entscheidung über die Maastrichter Verträge voraussichtlich Ende Juni

Berlin (taz) – So manchem Bonner Politiker steigt die Schamesröte ins Gesicht, wenn er bloß an die Maastrichter Verträge denkt. Denn obwohl Bundeskanzler Helmut Kohl seine europäischen Partner monatelang zu einer schnellen Ratifizierung gedrängt hat – und Bundestag und Bundesrat auch absprachegemäß bis Ende 1992 zustimmten –, fehlt bis heute die Bonner Unterschrift unter dem Vertragswerk. Der Grund: Zwei Beschwerden beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, über die bis heute nicht entschieden ist.

Die Beschwerdeführer – eine Gruppe grüner Europaparlamentarier und ein ehemaliger Mitarbeiter der EG-Kommission – werten schon die Verzögerung der Ratifizierung als Erfolg. Ihre Beschwerden machen die Verletzung demokratischer Grundrechte zum Thema und fordern eine Volksabstimmung über die Verträge. Doch damit enden ihre Gemeinsamkeiten auch schon.

Der grüne Europaparlamentarier Wilfried Telkämper hält die Verträge für „mit dem Demokratieprinzip des Grundgesetzes unvereinbar“. Sie leiteten den „Anfang vom Ende der Bundesrepublik Deutschland ein“ und würden die klassische Trennung von Legislative und Exekutive praktisch aufheben. Europa fiele damit „noch hinter die Monarchien des letzten Jahrhunderts zurück“. Der bayerische FDP-Politiker und ehemalige Kommissionsmitarbeiter Manfred Brunner begründet seine Beschwerde vor allem national: „Jeder Mensch, insbesondere jeder Deutsche, hat Anspruch auf den Schutz seiner Menschenwürde durch eine deutsche Staatsgewalt, welche vor allem demokratisch durch die Deutschen legitimiert ist.“

Bereits vor Wochen hatte das Bundesverfassungsgericht einen detaillierten Fragenkatalog an „die Organe der Bundesrepublik“ verschickt. Deren inzwischen in Karlsruhe eingegangenen Antworten zeigen, wie besorgt die „Organe“ ob der Prüfung ihres Vertragswerkes sind. So drängte der Hamburger Professor Meinhard Hilf im Auftrag der Bundesregierung schon im Januar das Bundesverfassungsgericht aus „außenpolitischen Gründen“ zur Eile. Die zuletzt in Karlsruhe eingegangene Stellungnahme des Bundestages empfiehlt zwar auch eine Ablehnung der Beschwerden, zeigt jedoch, wie weit die Sorge um Demokratieverlust verbreitet ist. Die beiden Gutachter – Professoren aus Gießen und Berlin – schreiben, daß der Souverän gefragt werden müsse, falls die Verträge der Einstieg in die Europäische Union seien.

Mehrfach schon hat das Verfassungsgericht seine Entscheidung vertagt. Nach dem für Freitag erwarteten Abtreibungsurteil wird sich der Zweite Senat jedoch mit „höchster Priorität“ den Maastrichter Verträgen widmen, meint der Berliner Rechtsanwalt Hans- Christian Ströbele, der die grünen Beschwerdeführer vertritt. In seiner jüngsten Ausgabe nennt der Spiegel Ende Juni als voraussichtlichen Entscheidungstermin.

Dann werde sich zeigen, so der grüne Politiker Telkämper, „wie unabhängig das Bundesverfassungsgericht von Bonn ist“. Nachdem in der vergangenen Woche die euroskeptischen DänInnen und sogar das britische Unterhaus für die Verträge gestimmt haben, steht die Bundesregierung tatsächlich unter enormem außenpolitischen Erfolgszwang. Dorothea Hahn