Kassandra spricht mit vielen Zungen

■ Vor der Abstimmung über den Asylkompromiß: Schüler kündigen Protestaktionen an, CDU warnt vor "Asylantenflut"

: Schüler kündigen Protestaktionen an, CDU warnt vor der „Aslyantenflut“

Der Countdown läuft, die Appelle und Kampfansagen mehren sich: „Stimmt morgen im Bundestag in Sachen Asylkompromiß und Grundgesetzänderung richtig ab!“, so die Hamburger Mahnung an die Adresse der Bonner Parlamentarier. Doch guter Rat ist bekanntlich teuer, und er klingt aus jedem Munde anders: Während zahlreiche Hamburger Gruppen Protestaktionen gegen die „Aushebelung des Asylrechts“ ankündigten, übte sich CDU-Bürgermeisterkandidat Dirk Fischer gestern in der Beschwörung von Schreckensvisionen.

Für den Fall einer Ablehnung des Asylkompromisses hatte der CDU- Spitzenkandidat das obligatorische Bild der „Asylantenflut“ parat, die Hamburg dann zu überfluten drohe. Schon 1992, so rechnete Fischer vor, habe Hamburg nicht, wie aufgrund seiner Aufnahmequote verpflichtet, nur 2,6 Prozent der nach Deutschland geflohenen Flüchtlinge aufgenommen, sondern gar doppelt so viele. Rechnungen, die von der zuständigen Innenbehörde dementiert wurden. Hamburg halte sich an das Aufnahmesoll und verteile die Flüchtlinge konsequent in andere Bundesländer um, so Innenbehörden-Sprecher Peter Eckhard Kelch.

Auch Fischers Kritik, Hamburg schiebe zuwenige Asylbewerber ab, erntete nur spöttische Randbemerkung aus der Behörde. Denn Hamburg liegt bei den Abschiebungen unter den bundesdeutschen Spitzenreitern. Für seine Behauptung, daß sich unter Asylbewerbern der „Sozialhilfemißbrauch als besondere Form des Betrugs entwickelt“ habe, ließ Fischer dann lieber gleich jegliches Zahlenmaterial vermissen. Fest steht für den Christdemokraten jedenfalls: „Eine Ablehung des Asylkompromisses hat für Hamburg katastrophale Folgen.“ Und weil das so ist, machte Fischer auch präventiv die Schuldigen aus: die wankelmütige SPD, allen voran die Hamburger GenossInnen. Als geradezu „skandalös“ wertete Fischer die Ankündigung der Altonaer Bundestagsabgeordneten Marliese Dobberthien, sie werde gegen die Asylvereinbarung stimmen. Fischers Stoßgebet: „Armes Altona!“

Doch die Gegner der Grundgesetzänderung können sich auch über kräftigen Rückenwind freuen. Denn aus Protest gegen die Änderung des Artikel 16 werden in Hamburg und Bonn morgen zahlreiche Aktionen stattfinden. Besonders aktiv: Hamburgs Schüler. So sollen am Mittwoch mehrere Schulen besetzt werden (Erich- Kästner Gesamtschule, Gymnasium Farmsen, Gesamtschule Bergedorf, Kloster- und Otto-Hahn-Schule) Die Bergedorfer Schüler: „Wir wollen mit der Besetzung zum Ausdruck bringen, daß wir mit der faktischen Abschaffung eines Menschenrechts durch den ‘Asylkompromiß' nicht im geringsten einverstanden sind.“

In zahlreichen anderen Schulen haben Schülerräte zu Vollversammlungen eingeladen oder Alternativ-

1unterricht organisiert. Das Gymnasium Farmsen veranstaltet die Aktion „Schule mit Asylrecht“: Schüler müssen einen Asylantrag stellen, um zur Penne zu komme. Und auch auch die Schüler des Gymnasiums Oldenfelde wollen ihr Gebäude zur „Festung Schule“ ausbauen. Um 12 Uhr ist eine Schülerdemonstration von der Moorweide zum Springer-Haus und anschließend zum Kurt Schuhmacher-Haus

1geplant: Dort will sich die junge Generation mit dem Wandel der Sozialdemokraten kritisch auseinandersetzen.

Am Mittwochmorgen findet außerdem um sieben Uhr vor der Hamburger Ausländerbehörde eine Kundgebung statt. Überdies sind zahlreiche spontane Aktionen im gesamten Stadtgebiet geplant. Am Abend (17 Uhr) organisiert das Türkische Volkshaus (Feldstraße/

1St.Pauli) einen Korso von den Neumühlener Flüchtlingsschiffen zum Roma-Lager in Neuengammme. Da zahlreiche Hamburger Gruppen auch zu Aktionen in Bonn aufgerufen haben - darunter auch die Hamburger Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV) - fahren heute abend um 21.30 Uhr zahlreiche Busse vom ZOB ab (Karten: 36 Mark). Sannah Koch/Kai von Appen