Lustige Weiber im Bremer Knast

■ Die Shakespeare Company spielte in der JVA Oslebshausen auf / Es pfiff und kreischte und hagelte kluge Zwischenrufe

hier bitte den Dicken und

den Mann von hinten

Norbert Kentrup verleiht dem Fleischklops Falstaff ein schmieriges Charisma

Sonntag nachmittag stürmt eine kleine Horde Pressemenschen die Justizvollzugsanstalt Oslebshausen, und zwar auf ausdrückliche Einladung der Gefängnisleitung. Die Mad Company vom Theater am Leibnizplatz ist dort zu Gast im Knast mit Shakespeares „Die lustigen Weiber von Windsor“ in einer besonders freien Bearbeitung für äußerst geschlossene Räume.

Eine überaus löbliche Initiative der Anstaltsleitung. Das Team vom Bau präsentiert die muntere Seite der Haft, mit Kunst im Knast und einer gepflegten Zellenkultur im unbefleckten Gefängnis. Ein dezent gekleideter Herr Hoff begrüßt uns mit verhaltener Herzlichkeit am Eingangstor und geleitet uns kurz angebunden zur Anstaltsaula. Eine schaurige Beschau

lichkeit liegt über dem Gelände und umtrübt das Gemüt. Man möchte immerzu „Ich war's nicht!“ schreien.

Die Aula liegt im ersten Stock eines verwittert roten Backsteinbaus gegenüber einer Kirche aus dem 19. Jahrhundert. Früher herrschte hier noch haftverschärfender Betzwang, heute ist man da humaner. Darum steht die Kirche meistens leer und droht mit hocherhobenen Turmspitzen herüber.

Der Saal ist erwartungsgemäß kahl und nichtssagend, nicht mal besonders finster. Mit ein bißchen Phantasie und gutem Willen könnte man sogar was Vorzeigbares daraus machen. So wie er ist, sieht es aus, als kämen gleich die Maler. Diese Art von liebloser Muffigkeit findet man sonst vor allem in den Wartesä

len von Gesundheitsämtern oder in einem Schullandheim. Der Oberschließer erinnert an einen Herbergsvater. Vor lauter Aufsichtspflicht ganz ausgezehrt besteht er fast nur noch aus Haut und Schlüsseln. Sichtlich angespannt scheppert er durch die Tür und führt so an die 50 Häftlinge herein, die gebremst gesprächig mit vergitterten Mienen in die beige-braune Bestuhlung fallen. Die Eisentür wird abgeschlossen. Eine ganz eigene Komik, wenn vor Spielbeginn die Ausgänge verriegelt werden.

Herr Hoff hält eine kurze Ansprache mit der gelassenen Autorität eines Studienrates, zeigt sich tief befriedigt über den durchaus regen, wenn auch nicht lückenlosen Zulauf und ist selbst ganz verzaubert, die Shakespare Company hergelockt zu haben. In Zukunft soll das kulturelle Angebot offensichtlich noch ausgebaut werden: Horch was kommt von draußen rein, das werden wohl die Künstler sein. Nicht immer, aber immer öfter hier in Oslebshausen. Das könnte aber schwierig werden, denn dieses Publikum ist bestimmt nicht leicht zu bespielen. Ein deutliches aber gesundes Mißtrauen strahlt aus den Sitzreihen, und man scheint keinesfalls geneigt, sich etwas vormachen zu lasen.

Aber Norbert Kentrup und seine Company machen klar, woher der Wind weht und wer hier wem was pustet

Aber Norbert Kentrup und Company reißen das Ruder rum. Vom Start weg machen sie klar, woher hier der Wind weht und wer im Zweifelsfalle wen umpustet. Eine unglaublich laute Inszenierung walzt durch die Aula, wo augenblicklich eine Art Saloon-Atmospäre um sich greift. Es pfeift und kreischt und hagelt Zwischenrufe, die auf der Bühne sehr schön und schlau verwertet werden. Kentrup verleiht dem feisten Fleischkloß Falstaff ein schmieriges Charisma, zeigt ein paar Quadratmeter Haut, gibt sich obszön und lachhaft lüstern, wenn er, pausenlos bejohlt, zwei Frauen gleichzeitig umschleimt.

Alles, was ins Unseriöse, Halblegale und ganz Kriminelle spielt, wird mit Tips und Anregungen von den Zuschauern ergänzt, die sich offensichtlich ihrer eigenen Rolle voll bewußt sind und sich ein bißchen in den Klischees herumaalen.

Die lustigen Weiber werden von Männern gespielt, die in furchtbaren Fummeln über die Bühne stöckeln und die derbe, aber niemals doofe Tuntenkomik voll auskosten. Aus dem Saal hagelt es Anzüglichkeiten und eindeutige Angebote, alle spielen mit. Genau diese Atmosphäre müßte es öfter im Theater geben.

Die Inszenierung hat zwar keine Längen, das Stück ist aber trotzdem lang. Nach zweieinhalb Stunden reiner Spielzeit kann man kaum noch sitzen, selbst die nicht, die keine großen Alternativen haben, außer den standing ovations beim Schlußapplaus.

Ein Häftling ruft: „Frauen und Verbrecher zuerst!“ — doch spätestens im Hof wird ihm das Lachen vergehen

Dann aber ist der Spaß sehr schnell vorbei, und das dezente Schlüsselklimpern des Schließers dämpft die allgemeine Aufgeregtheit gründlich. Alles sammelt sich am Ausgang, und als endlich aufgeschlossen wird, ruft ein Häftling mitten im Gedrängel launig: „Frauen und Verbrecher zuerst.“ Spätestens im Hof wird ihm das Lachen schon vergehen.

Theater im Knast ist eine sehr gute Idee und sollte dringend fortgesetzt werden. Dranbleiben, Herr Hoff! Willi Podewitz