Die U-Bahn als Versuchsfeld

■ Wer hilft, wenn Ausländer attackiert werden? Studenten und Schüler testeten in Rollenspielen die Hilfsbereitschaft der Berliner / Frauen ergreifen eher die Initiative

Berlin. Wie reagieren U-Bahn- Passagiere, wenn vor ihren Augen Ausländer oder Ausländerinnen angepöbelt oder gar bedroht werden? Schauen sie geniert weg, oder greifen sie mutig ein? Zwei Projektgruppen wollten dies unabhängig voneinander wissen und spielten nach, was in Wirklichkeit viel zu oft passiert und dieser Tage gar vor Gericht verhandelt wird. Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Die Normal-Berliner sind couragierter als angenommen, Pöbeleien werden überwiegend abgewehrt und Handgreiflichkeiten verhindert. Am mutigsten – das ergaben beide Feldforschungen – sind die Frauen. Der Wermutstropfen: Der Widerstand ist nicht spontan, er braucht seine Zeit, und er ist auch nicht kollektiv. Irgend jemand muß den Anfang wagen...

Die erste Testserie veranstalteten StudentInnen des Fachbereichs Politikwissenschaft an der FU unter der Leitung von Peter Grottian. Sie spielten auf verschiedenen U-Bahn-Linien zu unterschiedlichen Tageszeiten und zwischen den Monaten Januar bis März etwa 40mal das selbstentwickelte Stück „Verpiß dich...“ Der Inhalt: Zwei schwule Ausländer begrüßen sich innigst, daraufhin beginnen zwei Pöbler (darunter der bieder aussehende Hochschullehrer), mit zunehmender Agressivität das Pärchen zu beschimpfen. Die Arbeitshypothese der Studenten war, daß die Mehrheit der U-Bahn-Benutzer die Diskriminierungen hinnehmen werde.

Dies war nicht der Fall. Die Mehrheit der Passagiere signalisierte durch Mimik oder schüchternen Protest ihren Widerwillen gegen die Pöbler. Ein winziges Eingreifen eines Passagieres und in Ausnahmefällen auch der begleitenten Studenten genügte, damit sich offener und einmütiger Protest gegen die Angreifer artikulieren konnte. In einem Fall wurden die „Pöbler“ gar körperlich angegriffen. Nur in zwei bis drei Fällen, schrieben die Studenten in einer vorläufigen Auswertung, „gab es verbale oder mimisch sichtbare Unterstützer“ für die Aggressoren.

Insgesamt reagierten Männer zurückhaltender als Frauen und insbesonders die über 60- und unter 20jährigen. „Die eher gut angezogenen Herren hielten sich in der Regel bedeckt.“ Obwohl die Fahrgäste überwiegend Partei für die Opfer ergriffen, heißt es in dem Bericht, sei auch deutlich geworden, „daß trotzdem Ausländerfeindlichkeit und Rassismus alltäglich bleiben“. Der Student Uwe Klüppel, der ebenfalls einen Provokateur mimte, wird die Reaktion der Passagiere in einer Seminararbeit quantifizieren.

Ähnliche Erfahrungen wie die Studenten machten in der vergangenen Woche 30 SchülerInnen der Martin-Buber-Oberschule in Spandau. Sie spielten etwa zwanzigmal, aber durchweg auf der U-Bahn-Linie 7, mit wechselnden Rollen und mit unterschiedlicher Handlung das Stück: Jugendliche werden von Jugendlichen bedroht. Die Reaktionen der Fahrgäste wurden mit einer Videokamera vom Nachbarwagen aus gefilmt. Der wesentliche Regie-Unterschied: Die Schüler trieben das Spiel bis zu Handgreiflichkeiten. Ihre Auswertung ergab, daß die Fahrgäste zwar verbale Attacken hinnahmen (in Einzelfällen sogar mit Beifall bedachten), aber zugunsten der Opfer eingriffen, wenn diese verprügelt werden sollten. Während der begleitende Lehrer Hannes Burgemeister gegenüber der taz die Interventionen als positives Zeichen für das Alltagsverhalten der BerlinerInnen interpretierte, bewertete das Schauspieler- Opfer, die 19jährige Nuray Soysal, die Erfahrungen als „bitter“. „Wieso“, fragte sie, „müßen AusländerInnen erst körperlich angegriffen werden, bevor sie verteidigt werden?“ An eine systematische Auswertung der Videos ist bisher noch nicht gedacht. Anita Kugler